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Gender Curriculum Kommunikationswissenschaft, Publizistik, Journalistik

Auch relevant für: Medienwissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft

Fach: Journalistik, Kommunikationswissenschaft
Fächergruppe/n: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Lehrziele:

Die Studierenden sollen die grundlegende Bedeutung der Kategorie Geschlecht (und anderer sozialer Differenzierungen wie Ethnie, Sexualität, Alter und Klasse) in allen Bereichen öffentlicher, medial vermittelter, digitaler und interpersonaler Kommunikation kennenlernen und in ihrer Relevanz für gesellschaftliche Entwicklungen analysieren können. Hierzu sollen ihnen Theorien, Methoden und Forschungsbestände der Geschlechterforschung in der Kommunikationswissenschaft/Publizistik/Journalistik vermittelt werden. Da die meisten Absolvent*innen dieser Fächer später in kommunikationsbezogenen Berufen arbeiten, sollen sie zudem auch lernen, Genderkompetenz zu entwickeln, Medien mit Blick auf geschlechterrelevante Fragen zu beobachten, ihre Kenntnisse in der Arbeitspraxis anzuwenden und Ausgleichsstrategien für geschlechtsspezifische Diskriminierung in den Medien zu entwickeln.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung versteht Geschlecht als eine zentrale gesellschaftliche Kategorie, die allen Prozessen und Institutionen medialer, digitaler, interpersoneller und massenmedial vermittelter Kommunikation eingeschrieben ist. Geschlecht wird somit als Prozess- und Strukturkategorie aufgefasst. In Medieninhalten finden einerseits gesellschaftliche Verhältnisse ihren Ausdruck, andererseits sind Medien zugleich auch Akteur*innen: In gegenwärtigen Gesellschaften leisten Medien einen erheblichen Teil der Konstruktion von Identitäten und der Bedeutungszuschreibungen zu Ereignissen. In der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung wird dabei das Verhältnis von Geschlecht und Medien als Beziehung zwischen symbolischen Ordnungen, Repräsentationen, Kommunikationsprozessen und dem Handeln von einzelnen Akteur*innen und Institutionen beschrieben. In medialen Räumen wird Geschlecht konstruiert und verhandelt und es werden Möglichkeiten zur Verortung und zu (Selbst-/Fremd-)Positionierungen angeboten; gleichzeitig eröffnen sich auch Räume der Intervention und der Umdeutung herrschender Geschlechterordnungen.

Die Geschlechterforschung hat daher in medienbezogenen Fächern einen besonderen Stellenwert, der sowohl in der Theoriebildung als auch in der empirischen Forschung und der praktischen Umsetzung zum Ausdruck kommt.

 

Theorie:

Die feministische Theoriebildung hat in der Kommunikationswissenschaft/Publizistik/Journalistik vor allem in der Publikums-, Medieninhalts- und Kommunikator*innenforschung Eingang gefunden. Dabei lässt sich analytisch zwischen dem Gleichheits-, dem Differenz- und den de-/konstruktivistischen Ansätzen unterscheiden. Der Gleichheitsansatz nimmt die Diskriminierung von Frauen in den Blick und plädiert für eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen sowohl in der Mediendarstellung als auch in Medienberufen. Der Differenzansatz hebt dagegen die Unterschiede in den Kommunikationsstilen und Lebensweisen von Männern und Frauen hervor und fordert die Anerkennung weiblicher Lebens- und Ausdrucksformen. Die de-/konstruktivistische Geschlechterforschung schließlich stellt die Weiterentwicklung dieser Ansätze und letztendlich einen Paradigmenwechsel dar. Sie betont die kulturelle Konstruiertheit der Kategorie Geschlecht und untersucht, wie sich Männer* und Frauen* in ihrem Medienhandeln in der zweigeschlechtlich strukturierten Lebenswelt verorten (sog. „doing gender”), wie Geschlechterpositionierungen angenommen, modifiziert und/oder verworfen sowie wie Geschlechtsidentitäten in und durch Medien hergestellt werden.

Die Weiterentwicklung (de-)konstruktivistischer Ansätze, insbesondere durch die Queer Theory und intersektionale Ansätze, trug zu einer kritischen Auseinandersetzung mit als „natürlich” erscheinenden Kategorien bei. Die Queer Theory nimmt die Selbstverständnisse von und Zugriffe auf Körper, Identitäten und sexuelle Politiken in den Blick. Damit wird eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Praxen und Institutionen sowie Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit als Norm gefordert. Der Ansatz der Intersektionalität weist erneut auf Probleme hin, mit denen sich die Geschlechterforschung seit den 1980er Jahren beschäftigte: Neben Geschlecht sind weitere Kategorien (wie Ethnie, Klasse und sexuelle Orientierung) für die Konstruktion von Differenzen maßgeblich und können in ihrer Verwobenheit untersucht werden, wie etwa die Ethnisierung von Geschlecht.

In der Inhalts- und der Publikumsforschung hat die feministische Forschung gezeigt, dass die mediale Darstellung von Männern und Frauen an gängigen Stereotypen orientiert ist (Gleichheitsansatz), sie hat den Blick auf die unterschiedliche Einbettung der Mediennutzung in den Alltag von Männern und Frauen gelenkt (Differenzansatz) und darauf, wie in der Auseinandersetzung mit Medieninhalten weiblich und männlich konnotierte Identitäten konstruiert und gelebt werden (De-/Konstruktivismus).

In der Kommunikator*innenforschung wird die marginale Stellung von Frauen im Mediensystem beschrieben (Gleichheitsansatz), es wird nach unterschiedlichen Produktionsweisen von Männern und Frauen gefragt (Differenzansatz) sowie nach der Konstruktion von Berufsrollen in einem männlich dominierten bzw. konnotierten Tätigkeitsfeld und den Handlungen, mit denen sich Männer* und Frauen* in diesem Feld verorten und verortet werden (De-/Konstruktivismus).

Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung hat aber auch deutlich gemacht, dass die im Fach vorgenommene strikte Trennung in einzelne Disziplinen (Kommunikator*innenforschung, Inhaltsforschung, Publikums- und Wirkungsforschung, Mediaforschung) häufig den Blick darauf verstellt, dass die mediale Bedeutungsproduktion in soziale und kulturelle Kontexte eingebettet ist, in denen Medienproduktion, -inhalte und -nutzung in vielfältiger Weise miteinander verwoben sind und bspw. das Gendering in die Bewertung von Medienangeboten einfließt. In Prozessen der Theoriebildung hat die feministische Forschung einen zentralen Beitrag zur Neuformulierung von Theorien der Öffentlichkeit geleistet: Die Verhandlung des Verhältnisses zwischen öffentlich und privat, die Bedeutung der politischen Öffentlichkeit und der vermeintliche Gegensatz zwischen Information und Unterhaltung sind dabei wichtige Aspekte.

 

Empirie:

Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung hat zu wesentlichen empirischen Ergebnissen beigetragen, zu nennen sind u. a. folgende Forschungsfelder:

  • Die Kommunikator*innenforschung richtet den Blick auf das Berufsfeld Medien mit dem Schwerpunkt Journalismus und Public Relations. Studien aus der Kommunikator*innenforschung beschreiben u. a.:
    • Arbeitsfelder und -bedingungen von Frauen* in journalistischen Berufen (auch in historischer Perspektive), bspw. die Festlegung von Frauen* auf bestimmte Ressorts und Tätigkeiten und ihre Stellung innerhalb männlich dominierter Arbeitskultur der Medienunternehmen,
    • Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ausgestaltung der Berufsrolle, insbesondere in Entscheidungsprozessen, Recherchemethoden und Themengestaltung.
  • Die Inhaltsforschung untersucht Darstellungen von Männern* und Frauen* in den Massenmedien. Deutlich wird nach wie vor eine Unterrepräsentanz von Frauen* in den Medien und stereotype Geschlechterdarstellungen, wobei allerdings medienspezifische Differenzierungen notwendig sind: für das Fernsehen z. B. vor allem in Bezug auf Genre und Thema sowie öffentlich-rechtliche vs. private Sender, für die Presse vor allem in Bezug auf die verschiedenen Ressorts. Forschungsthemen sind u. a.:
    • die (Unter-)Präsenz von Frauen* als Medienmacherinnen,
    • die weitgehende Nichtbeachtung feministischer Themen in den Medien,
    • die Darstellung von Frauen* und Männern* in fiktionalen und nicht-fiktionalen Medieninhalten, insbesondere die auf klischeehaften Vorstellungen beruhende Festlegung von Frauen* und Männern* auf bestimmte Rollen und Ressorts und die damit einhergehende Trivialisierung und Stereotypisierung ihrer Lebenszusammenhänge allgemein sowie die Verknüpfungen mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit.
  • Schließlich liegt eine Reihe von Arbeiten zu geschlechtsgebundenen Mediennutzungen und -wirkungen vor. Diese Untersuchungen beschäftigen sich mit geschlechtsspezifischen Genrepräferenzen und Rezeptionsweisen sowie der kontextuellen Einbettung des Medienkonsums in den unterschiedlichen Lebensalltag von Männern* und Frauen*. Dazu gehören u. a.:
    • (überwiegend statistische) Untersuchungen zu Nutzungsdauer und Nutzungszeiten sowie zu Präferenzen bei der Wahl des Mediums und des inhaltlichen Angebots,
    • Untersuchungen zu Genrevorlieben und Aneignungspraxen,
    • Untersuchungen zur Einbettung der Medienrezeption in den Alltag von Männern* und Frauen*,
    • Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Wirkungen von Medien, insbesondere im Bereich der Gewaltdarstellung.
  • In Analysen zum Verhältnis von Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht sind u. a. Forschungsthemen:
    • Soziale Konstruktionen von Ungleichheiten in und durch Medien,
    • Veränderungen in geschlechtlichen Machtverhältnissen und von politischer Partizipation in und durch Medien,
    • Wandlungsprozesse von Medien durch Digitalisierung, Globalisierung sowie den Strukturwandel der Gesellschaft,
    • Veränderungen von Dichotomien (z. B. privat-öffentlich, kulturell-natürlich, Information-Unterhaltung).
  • Neben diesen klassischen sind noch eine Reihe weiterer Forschungsfelder zu nennen, die mit den bereits genannten jeweils verbunden werden können. Neben der Forschung über Werbung zählen dazu u. a.  die medialen Möglichkeitsräume nicht-heteronormativer Verortungen und Darstellungen, Forschungen zum Internet, insbesondere Analysen zu den in virtuellen Räumen verhandelten Körper- und Identitätskonzepten und zu den in Technologien reproduzierten Geschlechterdualismen sowie zur digitalen Wirksamkeit hegemonialer Männlichkeiten, aber auch zu feministischen Aneignungen und digitalen Teilhabemöglichkeiten.

 

Praxis:

Im Rahmen einer kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung sollten jedoch nicht nur diese Inhalte thematisiert, sondern auch ihre Relevanz für die Berufspraxis der Absolvent*innen diskutiert werden. Kommunikationswissenschaft/Publizistik/Journalistik verstehen sich als Gesellschaftswissenschaften, zu deren Aufgaben neben der Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse auch der Hinweis auf Missstände und Möglichkeiten zur Veränderung zählen. Die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung will daher für verschiedene Formen der Benachteiligung von Frauen* (auch unter Berücksichtigung weiterer Differenzkategorien) in den Medien und in medienbezogenen Berufen sensibilisieren und Genderkompetenz schaffen. Sie diskutiert konkrete Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungshilfen für die eigene Berufstätigkeit (neben Studiumslehrveranstaltungen, z. B. auch in Form von Schulungspaketen für Menschen in Medienberufen). Dies geschieht unter Einbezug verschiedener Theorien und Erkenntnisse des Fachs,
z. B. aus Nachrichtenwertforschung und Agenda Setting. Zu den Inhalten gehören:

  • Schulungsangebote, die anhand von konkreten Beispielen aus der Medienpraxis den Blick für geschlechterdiskriminierende Medieninhalte schärfen,
  • Kenntnis rechtlicher und institutioneller Grundlagen der gleichberechtigten Arbeit in Medienberufen und der geschlechtergerechten Darstellung von Männern* und Frauen*,
  • Übungen, die geschlechtersensible Arbeitsweisen im Journalismus und in anderen Tätigkeitsfeldern trainieren.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Die Geschlechterforschung hat Eingang in alle Forschungsbereiche der Kommunikationswissenschaft/Publizistik/Journalistik gefunden, sodass spezielle Module zu jedem Bereich (Kommunikator*innenforschung, Medienforschung, Inhaltsforschung, Rezeptionsforschung, Wirkungsforschung) denkbar sind. Daneben sollte die Geschlechterforschung aber in jedem Fall auch in die grundständige Lehre integriert werden, damit sie nicht – wie derzeit noch häufig der Fall – als ein „Sonderthema” begriffen wird, sondern als ein grundlegendes Gebiet medienorientierter Wissenschaft und Arbeitspraxis. Konkret würde dies die folgende Umsetzung bedeuten:

  1. Geschlechterforschung in der grundständigen Lehre des Bachelor-Studiengangs:
    • In den Einführungsveranstaltungen sollte ein inhaltlicher Block zu Theorien der Geschlechterverhältnisse ebenso einbezogen werden wie Erkenntnisse aus den oben dargelegten Bereichen der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Gender als gesellschaftliche Strukturkategorie sowie als Identitätskonstruktion sollte in allen Themen der Einführungsveranstaltungen (Struktur des Berufsfeldes und des Medienmarktes, Mediennutzung, Medieninhalte, Theorien, Mediengeschichte etc.) transparent gemacht werden.
    • In der Methodenlehre können die erlernten empirischen Methoden in Übungen auf Themenfelder aus dem Bereich der Geschlechterforschung angewendet werden.
  2. Geschlechterforschung in speziellen Modulen im Bachelor- und Master-Studiengang:
    • Neben der Integration in die grundständige Lehre empfehlen sich vertiefende Module zu verschiedenen Aspekten der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Diese Module sollten der theoretischen Entwicklung Rechnung tragen, aktuelle Erkenntnisse der Forschung vermitteln und einen konkreten Bezug zur Berufspraxis herstellen. Die vertiefenden Module können entlang der im vorangegangenen Abschnitt skizzierten fachspezifischen Inhalte konzipiert werden. Damit wäre eine eigenständige Lehre der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung auch dann möglich, wenn grundlegende Inhalte – etwa aus dem Bereich der Theoriebildung – nicht in die grundständige Lehre integriert werden können.
    • Modul „Theorien kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung”, in dem die theoretischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen und Grundbegriffe gelehrt werden, anhand derer deutlich wird, dass Gender ein zentrales Konzept in der Beschäftigung mit Medien und Kommunikation darstellt. Sollte dies im Bachelor-Studiengang bereits in den Einführungsveranstaltungen erfolgt sein, kann die Veranstaltung entfallen oder als Vertiefung konzipiert werden. Im Master-Studiengang sollte das Modul in jedem Fall als vertiefende Veranstaltung geplant werden.
    • Modul „Wirkungs- und Publikumsforschung”, das sich mit der geschlechtsgebundenen Nutzung von Medien durch die Rezipient*innen beschäftigt. Wegen des deutlichen Bezugs zur Berufspraxis sollte dieses Modul möglichst in den Bachelor-Studienplan integriert werden. In einem weiterführenden Master-Modul könnte demgegenüber die wissenschaftliche Seite dieses Themenfeldes – z. B. durch die zugrunde liegenden kritischen Gesellschaftstheorien – stärker betont werden.
    • Gleiches gilt für das Modul „Inhalts- und Kommunikator*innenforschung”, in dem die genderbezogenen Aspekte der Produktionsseite der Medien sowie des Berufsfeldes näher beleuchtet werden. Während hier im Bachelor-Studiengang ebenfalls die praktische Bedeutung im Vordergrund stehen sollte, könnte im Master-Studiengang im Bereich der Inhaltsforschung z. B. stärker auf semiotische Theorien Bezug genommen werden. In beiden Studiengängen wäre außerdem eine Aufteilung in zwei separate Module „Kommunikator*innenforschung” und „Inhaltsforschung” denkbar.

Sollte dieses umfassende Programm nicht zu realisieren sein, könnte auch auf ein zweiteiliges, integriertes Modul kommunikationswissenschaftlicher Geschlechterforschung zurückgegriffen werden: In der ersten Veranstaltung (Vorlesung oder Seminar) würde ein Überblick über die theoretischen Grundlagen, die oben skizzierten Anwendungsgebiete und deren zentrale Erkenntnisse gegeben. In der zweiten Veranstaltung (Seminar/Übung) würde dieses Wissen in Übungen auf konkrete Gegenstände (z. B. Nachrichten, fiktionale Genres, Werbung, digitale Medien) angewendet werden.

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Studienphase:

Die oben beschriebenen Inhalte der grundständigen Lehre sollten vor allem in die Einführungsveranstaltungen des Bachelor-Studiengangs integriert werden (erstes bis drittes Semester). Ein (wiederholendes und Überblick vermittelndes) Kompendium wäre außerdem im ersten Semester des Master-Studiums denkbar, beispielsweise in Form eines inhaltlichen Blocks im Rahmen einer Master-Einführungsveranstaltung, der Einblick in komplexere Theoriebestände und Forschungsprojekte gibt.

Die Inhalte der vertiefenden Module sollten Bestandteil der Lehre in höheren Semestern des Bachelor-Studiengangs (drittes bis sechstes Semester) sowie im Master-Studiengang sein.