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Gender Curriculum Philosophie

Auch relevant für: Gender Studies, Kulturwissenschaften, Politische Theorie und Ideengeschichte

Fach: Philosophie
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften

Lehrziele:

Die Studierenden sollen dazu befähigt werden, „Geschlecht” als zentrale Kategorie und kritisches Analyseinstrument in allen Teilbereichen der Philosophie zu erkennen und anzuwenden.
Dabei geht es:

  • a) um die Vermittlung von Wissen über philosophische Geschlechtertheorien von der Antike bis zur Gegenwart,
  • b) die Vermittlung von Kenntnissen über Philosophinnen in Geschichte und Gegenwart, sowie
  • c) um die Ausbildung der Fähigkeit zur kritischen Analyse auch solcher Texte und Konzeptionen, in denen „Geschlecht” nicht thematisch ist, sondern indirekt – z. B. über Metaphern, Vergleiche, Auslassungen – strukturierend wirkt. Methodenreflexion und -kompetenz sind daher ein zentrales Lernziel.

Zudem sollen den Studierenden die Entwicklung des Feldes und die zentralen Ansätze in den Debatten der feministischen Philosophie und der interdisziplinären Geschlechterforschung vermittelt werden, so dass sie kompetent in diese Debatten intervenieren können.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Frauen- und Geschlechterforschung in der Philosophie analysiert theoretische Artikulationen von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen und befasst sich mit der Entwicklung von Denkformen und Begriffen, die es ermöglichen, Dominanzverhältnisse zu benennen und zu verändern. Zentral ist dabei die Analyse und Überwindung eines „falschen Universalismus”, d. h. von neutral erscheinenden Allgemeinbegriffen, die jedoch implizit durch einen Geschlechterbias geprägt sind. Philosophische Frauen- und Geschlechterforschung geht von einem komplexen Zusammenwirken von gesellschaftlichen Strukturen, Philosophie und anderen Wissensformen aus und begreift philosophische Begriffsarbeit als „situiert”. Sie reflektiert daher immer wieder auch die disziplinären Grenzen des Faches „Philosophie” und setzt sich kritisch mit epistemischen Strategien der Exklusion von Inhalten und Denkstilen auseinander.

Die Aufgaben der Rekonstruktion, Kritik und konzeptionellen Innovation von Begriffen und Theorien unternimmt Frauen- und Geschlechterforschung in allen systematischen Teilbereichen der Theoretischen und Praktischen Philosophie.

 

Im Bereich der Theoretischen Philosophie sind vor allem folgende Beiträge zu nennen:


Metaphysik und Ontologie

  • Forschungen zur geschlechtlichen Artikulation und hierarchischen Anordnung grundlegender begrifflicher Gegensätze wie Sein/Nichtsein, Natur/Kultur, Körper/Geist. Hier geht es zum einen darum, die gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhänge, die in metaphysische bzw. ontologische Prinzipien „eingeschrieben” sind, herauszuarbeiten und zu benennen. Zum anderen geht es darum, zu begreifen, wie  Geschlechterkonstruktionen Denken strukturieren und darüber gesellschaftliche Geschlechterordnungen stabilisieren oder zu ihrer Veränderung beitragen.
  • Philosophische Konzeptionen, die im Kontext metaphysischen Denkens die Allianzen feministischer Philosophie mit anderen Formen der modernen Metaphysikkritik (Marx, Nietzsche, Freud, Poststrukturalismus, Diskursethik) ausloten. Hier geht es darum, trotz des Geschlechterbias und einer unterkomplexen Begrifflichkeit in Bezug auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse, die so gut wie alle philosophischen Konzeptionen des Mainstreams kennzeichnet, Ansatzpunkte für die Entwicklung der eigenen Theoriebildung zu finden.
  • Philosophische Arbeiten, die sich mit den in feministischen Theorien implizit oder explizit formulierten Ontologien und metaphysischen Grundannahmen auseinandersetzen. Hierzu gehören insbesondere Arbeiten zum Begriff der Materie und zum ‚material turn‘ in den Geistes- und Sozialwissenschaften.
  • Arbeiten im Bereich der Analytischen Feministischen Philosophie
     

Wissenschafts- und Erkenntnistheorie

  • Forschungen und Analysen zum Androzentrismus in Konzeptionen von Rationalität und Wissenschaft. Konzeptionen von Wissenschaft und Rationalität werden daraufhin untersucht, inwieweit sie von androzentrischen Vorannahmen über das Erkenntnissubjekt und Erkenntnisinteressen ausgehen. Analysiert wird die Vergeschlechtlichung menschlicher Erkenntnisvermögen, z. B. durch den Gegensatz Vernunft/Gefühl. Gegen die Annahme von neutraler Objektivität wird aus unterschiedlichen methodischen Zugängen heraus (u. a. Psychoanalyse, Kritische Theorie, Poststrukturalismus) das Verhältnis von Wissen und Macht analysiert.
  • In kritischer Auseinandersetzung sowohl mit positivistischen als auch kulturalistisch-relativistischen Ansätze in der Wissenschaftstheorie befasst sich Geschlechterforschung in der Philosophie intensiv mit Fragen der Erkenntnistheorie. Zu nennen sind hier die Standpunkttheorie, das Konzept des „situierten Wissens” sowie Ansätze im Anschluss an die Historische Epistemologie und die Social Studies of Science. Es geht dabei insbesondere um eine Reformulierung des Konzepts von Objektivität, die es erlaubt, die unterschiedlichen Perspektiven von Frauen und anderen „Anderen” zu Wissen und Wissensproduktion einzubeziehen, ohne die Möglichkeit, Wahrheitsansprüche zu formulieren, aufzugeben. Zentral sind dabei Theorien über epistemische Ignoranz und epistemologische Ungerechtigkeit. In diesem Zusammenhang und darüber hinaus widmet sich eine Reihe von Forschungen er erkenntnisleitenden Bedeutung von Gefühlen bzw. Emotionen und Affekten.

 

Im Bereich der Praktischen Philosophie sind vor allem folgende Beiträge zu nennen:


Politische Philosophie/Sozialphilosophie

  • Forschungen, die die Geschlechterkonzeptionen und androzentrischen Grundannahmen in philosophischen Theorien über Staat und Gesellschaft, Ehe, Familie, Generativität und Erziehung in allen Epochen der Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Gegenwart aufarbeiten. Hier geht es sowohl um den Aufweis von historischen Veränderungen in den Geschlechterordnungen und -symbolisierungen als auch um die Analyse von Kontinuitäten. Von zentraler Bedeutung sind hier Analysen zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, zur Theorie des Staates, der Demokratie, des Politischen sowie zu den Begriffen Macht und Herrschaft.
  • In der aktuellen, zeitgenössischen Sozialphilosophie sind insbesondere die Debatten um Gleichheit und Gerechtigkeit sowie um Identität, Differenz und Anerkennung von der feministischen Philosophie angestoßen worden. Es geht um die Frage, wie soziale, ökonomische, rechtliche und kulturelle Faktoren zusammenwirken bzw. wirken sollten, um eine plurale, geschlechtergerechte Gesellschaft zu befördern. Dabei werden Themen wie Gleichheit/Ungleichheit und Gerechtigkeit, Globalisierung, Kolonialität/Postkolonialität und kulturelle Identität einbezogen. Das Thema Ökologie/Naturverhältnisse spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Grundlegende Impulse für die Bearbeitung dieser und anderer Themen gehen von Theorien der Intersektionalität aus, die darauf zielen, die Verflechtung unterschiedlicher Machtverhältnisse und sozialer Hierarchisierungsprinzipien zu begreifen.
     

Moralphilosophie/Ethik

  • Feministische Ethikkonzeptionen sind zunächst als Alternative zu universalistischen Auffassungen von Recht und Gerechtigkeit, die vom autonomen Subjekt der Vertragstheorie ausgehen, formuliert worden. Vor allem der Entwurf einer „Fürsorgeethik”, die sich an weiblichen Lebenserfahrungen und Kompetenzen wie soziale Bindungsfähigkeit, kontextsensitives Denken und Emotionalität orientiert, hat zu einer reichhaltigen philosophischen Debatte um die Möglichkeit einer „weiblichen Moral” und um das Verhältnis von Universalismus und Relativismus geführt. Darüber hinaus gibt es eine Vielfalt an theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Begriff der Autonomie sowie mit Konzepten von Relationalität, Abhängigkeit und Verletzlichkeit. In jüngster Zeit findet zudem eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Sorge im Sinne von Lebenssorge und mit Blick auf Sorgearbeit statt.
  • Feministische Bioethik setzt sich kritisch mit der Geschlechtsblindheit der Mainstream-Bioethik auseinander und formuliert vielfach Vorschläge für einen intersektionalen Zugang zu den Problemen der angewandten Ethik. Darüber hinaus sind Forschungen an der Schnittstelle von Technikphilosophie und Ethik zu nennen, die sich als unterschiedlichen Theorieströmungen wie Poststrukturalismus, Phänomenologie und philosophischer Anthropologie zugehörig verstehen.
     

Philosophische Anthropologie

  • Forschungen, die den „falschen Universalismus”, d. h. den impliziten Androzentrismus, von neutral erscheinenden Allgemeinbegriffen wie „der Mensch”, „das Subjekt”, „die Vernunft” in philosophischen Konzeptionen aller Epochen kritisch rekonstruieren. In diesem Zusammenhang ist eine Vielfalt an Methoden der Textanalyse entwickelt worden, die es erlaubt, über explizite Geschlechterkonstruktionen hinaus implizite Bedeutungsstrukturen von Texten und Diskursen zu analysieren.
  • Die Frage „Was ist der Mensch?” wird in der feministischen Philosophie in die Frage „Was ist Geschlecht?” übersetzt. Dabei werden Konzeptionen von Körper, Sexualität, Identität insbesondere aus existenzialistischer, psychoanalytischer, phänomenologischer und poststrukturalistischer Perspektive diskutiert. Ohne auf „essentialistische”, allen Frauen ein gemeinsames „Wesen” unterstellende Begrifflichkeiten zurückzugreifen, geht es darum, verallgemeinerbare Aussagen über die Bedingungen und Dimensionen von Handlungsfähigkeit zu formulieren. Dabei spielen poststrukturalistische bzw. konstruktivistische Ansätze ebenso eine Rolle wie leibphänomenologische Ansätze. Im Zuge der Debatten um den Posthumanismus werden in jüngster Zeit zudem verstärkt die Grenzziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen sowie Menschen und Dingen bzw. Artefakten analysiert. In diesem Zusammenhang findet eine intensive Auseinandersetzung mit den Begriffen ‚Natur‘ und ‚Leben‘ statt.
     

Geschichte der Philosophie

  • Die Geschichte der Philosophie ist durch die Wiederentdeckung „vergessener” bzw. unsichtbar gemachter Philosophinnen in der gesamten europäisch-abendländischen Philosophiegeschichte bereichert worden. Neben einer Reihe von Neu-Editionen sind hier auch entsprechende Nachschlagewerke entstanden. Darüber hinaus geht es darum, Spuren von Geschlechterkonflikten auch in Texten, die dies nicht explizit zum Thema machen, zu rekonstruieren. Beide Strategien schließen eine Reflexion über die Konstruiertheit von „Geschichte” und „Philosophie” ein und zielen auf eine Neubewertung marginalisierter Denkformen.

 

Das wissenschaftliche Feld der Geschlechterforschung in der Philosophie ist äußerst dynamisch. Auch wenn in den vergangenen 40 Jahren ein umfangreiches Wissen in den unterschiedlichen Gebieten der Philosophie erarbeitet worden ist und einige Autorinnen den Status von „Klassikerinnen” erlangt haben (insbesondere: Simone de Beauvoir, Luce Irigaray, Judith Butler), ist das Feld immer wieder von Veränderungen und neuen Entwicklungen geprägt. Diese ergeben sich zum einen aus der Dynamik der internationalen Debatten der Geschlechterforschung. Zum Großteil resultieren sie aber auch aus der kritischen Auseinandersetzung mit neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technologischen Herausforderungen. So sind in den vergangenen Jahren Techno- und Biowissenschaften, Ökologie, sowie die Bedeutung von Globalisierungsprozessen und Probleme der Post/Kolonialität zentral geworden.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Die genannten Inhalte sollten in alle Studienfächer integriert werden. Denn philosophische Geschlechterforschung bearbeitet grundlegende Probleme der zentralen Begriffe und Theorien des Mainstreams und stellt somit kein „Zusatzwissen” dar, das isoliert zu vermitteln wäre. Sofern grundlegende Orientierungen in den diversen Teilbereichen der Philosophie und in Bezug auf die Interpretation aller "klassischen" Autoren der Philosophiegeschichte in Frage gestellt werden, sollte philosophische Geschlechterforschung jeweils im Kontext des Kritisierten vermittelt werden.

Sofern eine solche Integration gegenwärtig nicht gewährleistet werden kann, empfiehlt sich die Einrichtung von Gender-Modulen oder Modulelementen. Dabei sollte es mindestens ein Modul bzw. Modulelement aus dem Bereich der Theoretischen und Praktischen Philosophie sowie ein Aufbaumodul „Philosophische Geschlechterforschung” geben. Thematisch könnten diese Module folgendermaßen ausgerichtet sein:

  1. Wissen, Macht, Geschlecht
    Dieses Modul sollte sowohl philosophiehistorisch als auch gegenwartsbezogen ausgerichtet sein. Zu vermitteln wären hier a) Grundlagen der feministischen Wissenschafts- und Rationalitätskritik, b) feministische Ansätze der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie. Sinnvoll erscheint es, c) diese Kritiken und Rekonzeptualisierungen an aktuellen Beispielen und Debatten zu konkretisieren und mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaftsphilosophie zu vermitteln.
     
  2. Sozialität, Politik, Ethik
    Dieses Modul sollte sowohl philosophiehistorisch als auch gegenwartsbezogen ausgerichtet sein. Zu vermitteln wären hier a) Analysen zum Status von Geschlechterverhältnissen in traditionellen wie gegenwärtigen Konzeptionen von Individuum, Gesellschaft und Politik, b) Grundlagen und Probleme der aktuellen feministisch-philosophischen Debatten zu dieser Thematik.
     
  3. Feministische Philosophie
    In diesem Modul sollten a) die Genese des Feldes „feministische Philosophie” sowie aktuelle Debatten und Entwicklungen im Zentrum stehen. Dazu gehört insbesondere die Auseinandersetzung mit der Inter- und Transdisziplinarität der philosophischen Geschlechterforschung aus philosophischer Perspektive sowie b) die Methodenreflexion. Vermittelt werden sollte dabei das Wissen um unterschiedliche Methoden der Textkritik sowie über Strategien der Begriffs- und Theoriebildung, um die Studierenden zu einem selbstständigen Arbeiten im Feld der philosophischen Geschlechterforschung zu befähigen.

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Studienphase:

Die genannten Inhalte sollten in alle Studienphasen integriert werden. Die Module 1 und 2 können in BA-Studiengängen ab dem zweiten Semester unterrichtet werden. Das dritte Modul ist als Aufbaumodul gedacht, d. h. erst in späteren Semestern sinnvoll. Unbedingt sollte es eine Vertiefung in MA-Studiengängen geben.