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Gender Curriculum Sprach- und Sprechwissenschaften einschließlich Phonetik, Linguistik, Rhetorik

Auch relevant für Genderlinguistik, Sprachsoziologie

Fach: Linguistik, Sprach- und Sprechwissenschaften
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften

Lehrziele:

Geschlecht bzw. Gender stellt eine stabile und entscheidende Kategorie im Kontext von Sprache und Kommunikation dar, da Geschlecht durch Sprache und Kommunikation fortwährend (re-)produziert wird. Hinsichtlich der im Studium zu vermittelnden fachspezifischen Inhalte der Geschlechterforschung und damit verbundenen Kompetenzen geht es darum, reflexiv zu erkennen und anhand theoretischer Grundlagen zu analysieren, dass Geschlechterbeziehungen mittels Sprache und sprachlicher Strukturen kulturelle, symbolische Systeme präsentieren sowie repräsentieren. Genderbewusste Linguistik und Kommunikation zielt auf die Bewusstmachung der Herstellungsprozesse geschlechtsspezifischer Attribuierungen durch Sprache und der damit verbundenen Produktion hegemonialer, genderhierarchischer Diskurse sowie politischer, kultureller und sozialer Gender-Positionierungen.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Im Zentrum der feministischen bzw. genderbewussten Linguistik und Kommunikationsforschung steht die Interdependenz von Sprache, Identität, Subjektpositionen sowie gesellschaftlich-politischen Strukturen und Hierarchiebildungen.

Sprache wird sowohl als Konstrukteurin als auch als Instrument zur Spiegelung gesellschaftlicher, politischer wie sozialer Zusammenhänge und Machtverhältnisse wesentliche Bedeutung zugesprochen.

Feministische Sprachkritik

Feministische Sprachkritik hinterfragt und anerkennt, dass sowohl einzelnen Wörtern (morphologisch-lexikalische Ebene) sowie syntaktischen Strukturen genderspezifische Bedeutung als handlungstragenden sprachlichen Elementen bedeutende Funktion zukommt.

Sprache beinhaltet Perspektiven, Wertungen, Platzanweisungen wie appellative Aussagen und initiiert als Medium von Erfahrungen stets eine Vorinterpretation von Wirklichkeit, sodass Sprache im Wesentlichen menschliches Verhalten reguliert. Aus feministisch-linguistischer Perspektive werden gesellschaftliche Strukturen transparent, wenn als Folge selektiver Wahrnehmung auf inhaltlicher wie formaler Ebene ausschließlich männliche Personen als potenzielle Akteure bzw. Subjekte gelten. Sprache prägt das Selbstbild, das Verhalten gegenüber sich selbst, als Subjekt wahrgenommen zu werden und als solches zu handeln.

Aus feministisch-genderreflexiver Perspektive scheint Identitätsgenese, Verständigung und Selbstverständnis von Frauen nicht über eine Sprache möglich, die ausschließlich oder primär in maskulinen Sprachformen agiert und damit einseitig männliche Wirklichkeiten konstruiert.

Doing Gender durch Sprache

Sprachbezogene Geschlechterstereotype bilden die kognitive Grundlage der interaktiven Herstellung von Geschlecht (Doing Gender).

Aus linguistisch-konstruktivistischer Theorieperspektive wird davon ausgegangen, dass in der Identitätsgenese wesentliche Inhalte des Gender-Konzepts im alltäglichen Interaktionsverhalten, d. h. Sprachverhalten, gelernt werden. Weibliche Personen verorten sich auf sprachlich-sozialer Ebene innerhalb männlich determinierter Gesellschaftsverhältnisse, ohne als eigenständige Subjekte vorzukommen.

Sex wird in interaktiven, sprachlichen Prozessen zu Gender, um umgehend naturalisiert zu werden. Durch Sprache kulturell Erworbenes erscheint als Naturhaftes, was letztlich Sprache selbst betrifft.

Durch Sprachhandeln werden Gender und Genderhierarchien reproduziert. Damit hat das Agieren via Sprache, das Identifiziert- und Attribuiertwerden durch Sprache grundsätzlich für sämtliche soziale, genderspezifische Identitätsbildungsprozesse entscheidende Bedeutung.

Sprachsensibilität und Sprachreflexion

Reflexiver Sprachgebrauch bedeutet, die Möglichkeit der Distanz zur eigenen sozialen Rolle, zur Sprechabsicht, zur Sprechsituation zu gewinnen. Sprachreflexion vermittelt Wissen darüber, was und wie wir etwas in sprachlichen Handlungen tun, und ist damit Voraussetzung für Emanzipation und Autonomie in sprachlich-kommunikativen Handlungen. Dieses reflexive Wissen beinhaltet sowohl sprachanalytische als auch kritische Elemente, sodass reflexiver Sprachgebrauch stets ein sprachanalytischer und -kritischer Prozess ist. Sprachreflexion ist Voraussetzung für Identitätsfindung, die sich im Spannungsverhältnis von Individuum und (Sprach-)Gemeinschaft ausagiert.

Sprachreflexion vermittelt Wissen darüber, was und wie etwas in sprachlichen Handlungen getan wird, und ist Voraussetzung für Emanzipation und Autonomie in sprachlich-kommunikativen Handlungen.

Sprache als Politikum

Eine geschlechterangemessene Politik, Forschung und Praxis erfordert auch eine geschlechterangemessene Sprache. Das Prüfkriterium dafür ist: Passen Sprache und Inhalt zusammen bzw. sind beide Geschlechter genannt, wenn beide Geschlechter gemeint sind, oder ist das Geschlecht genannt, welches gemeint ist.

Sprache, Diskurs und Materialität

Im Sinne der Diskurstheorie wird das in Sprache aufscheinende Verständnis von Wirklichkeit der jeweiligen Epoche analysiert. Die Regeln des Diskurses definieren für einen bestimmten Zusammenhang oder ein bestimmtes Wissensgebiet, was sagbar ist, was gesagt werden soll und was nicht gesagt werden darf und welche Person was wann sagen darf.

Der Diskurs ist dabei nur der sprachliche Teil einer "diskursiven Praxis", die auch nichtsprachliche Aspekte einschließt. In einigen Theorien wird der Vollzug bestimmter (körperlicher) Darstellungsweisen (Performativität) als Teil der diskursiven Praxis verstanden. Feministische Theorien fassen die Geschlechtsidentität selbst als diskursive Praxis.

Gender-Differenzen zwischen Mann und Frau können somit als diskursive Konstruktionen verstanden werden.

Konstruktivistische Theoriebildung und Sprache

Die naturalisierenden und materialisierenden Effekte sprachlich-kultureller Normen werden kritisch untersucht. Der vermeintlich natürliche Körper ist der naturalisierte Effekt des Diskurses. Jedoch sind Sprache (Diskurs) und Materialität kein Gegensatzpaar, da Sprache zugleich Materie ist und sich auf diese bezieht. Was 'materiell' ist, entzieht sich niemals ganz dem sprachlichen Signifikationsprozess. Auch die Materialität des biologischen Geschlechts (sex) ist durch ritualisierte sprachliche Wiederholungen von Normen konstituiert. Gender wird nicht bloß als kulturelle Geschlechtsidentität verstanden, sondern als Konstruktionsmechanismus, der das biologische Geschlecht (sex) als eine prädiskursive Entität produziert und diesen Prozess zugleich verschleiert, um sex nicht als Effekt von Gender erscheinen zu lassen, sondern als biologisches Faktum.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Die Kategorie Gender ist grundsätzlich als Querschnittskategorie zu betrachten. Daher sollte auf allen Ebenen der Fachgebiete Linguistik/Soziolinguistik/Kommunikation und bei allen Schritten von Prozessen immer nach der Bedeutung der Kategorie Gender als Einflussgröße gefragt werden.

Eine kritische Bewertung des Gebrauchs der Genderkategorie, die Förderung von Genderbewusstheit und Sprachreflexivität im Sinne nichtsexistischen und genderreflektierten Sprachhandelns, das Thematisieren feministisch-linguistischer als auch aktueller poststrukturalistischer und diskursanalytischer Theorieansätze sollte daher Grundlage einer Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen von Sprache, Gender und Macht sein. Idealerweise sind diese Aspekte in alle entsprechenden Fächer im Sinne des Gender Mainstreamings als Kernbausteine zu integrieren, könnten jedoch auch als Module bzw. Modulbausteine in die bestehenden Fächer aufgenommen werden:

  1. Gender und Sprache: In diesem Modul werden die engen Zusammenhänge von Sprache und Gender thematisiert. Es wird erarbeitet, dass durch Sprachhandeln Gender und Genderhierarchien (re-)produziert werden und das Agieren in Sprache, das Identifiziert- und Attribuiertwerden durch Sprache sowohl für sämtliche sozialen, genderspezifischen Identitätsbildungsprozesse als auch für gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse entscheidende Bedeutung hat.
     
  2. Doing Gender: In diesem Modulbaustein wird die konstruktive bzw. konstitutive Leistung von Sprache thematisiert. Sprache ist nicht nur Abbild gesellschaftlicher Wirklichkeiten, sondern vielmehr werden vermittels Sprache diese Wirklichkeiten konstruiert. Es wird deutlich gemacht, dass in alltäglichen Interaktionen eine fortwährende Konstruktion von Geschlecht durch Sprache stattfindet, die zur (Re-)Produktion gesellschaftlicher (Macht-)Verhältnisse führt. Zudem werden hier Aspekte der genderspezifischen Stereotypenbildung, der Sozialisierung sowie sozialer Codierungen und der Performativität erörtert. In diesem Bereich kann auf eine Vielzahl empirischer Studien zurückgegriffen werden bzw. können auch von den Studierenden selbst kleinere empirische Projekte zur Thematik durchgeführt werden.
     
  3. Sprache, Diskurs und Macht: Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Sprache und Geschlecht erfolgt die theoriegestützte gender- und soziolinguistische Reflexion bestehender Diskurse, denn soziale und gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse beruhen auf sprachlich und diskursiv hergestellten Herrschaftsmechanismen. Theoriegeleitet und diskursanalytisch wird die "symbolische Ordnung" untersucht, um die Wirkungsmechanismen von Sprache hinsichtlich Hierarchiebildungen sowie der Inklusion und Exklusion von Personen(gruppen) transparent zu machen. Dabei wird zugleich das Funktionieren "natürlich" und geschlechterneutral erscheinender Sprachmuster analysiert, da geschlechtsspezifische Zuschreibungen von herrschenden Diskursen reproduziert werden und in alltäglichen Interaktionen fest verankert sind.

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Studienphase:

Die genannten Modulbausteine sind grundsätzlich sowohl in die Bachelor- (ab dem zweiten Semester) als auch in die Master-Studiengänge integrierbar.

Die ersten beiden Modulbausteine sind geeignet, bereits in die Bachelor-Studiengänge aufgenommen zu werden, der dritte Baustein sollte in den Master-Studiengang integriert werden.