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Gender Curriculum Physiotherapie

Weiter relevant für: Ergotherapie, Logopädie

Fach: Physiotherapie
Fächergruppe/n: Humanmedizin/ Gesundheitswissenschaften

Lehrziele:

Den Studierenden ist die Kategorie Geschlecht als bedeutende Einflussgröße in Praxis und Wissenschaft der Physiotherapie bekannt. Hierzu kennen sie neben den theoretischen naturwissenschaftlichen Erklärungszusammenhängen (z.B. in der Medizin) auch sozialwissenschaftliche Grundlagen (Gender). Bedeutende empirische Arbeiten der Frauen-, Männer- und Geschlechter- bzw. Genderforschung in ihrer Fachdisziplin sind ihnen vertraut. Die Studierenden haben die Kategorie Geschlecht vor allem hinsichtlich von fünf Aspekten künftiger Entwicklung ihrer Disziplin und ihres Berufes verstanden, insbesondere bezogen auf

  1. den Prozess der Professionalisierung eines (traditionellen "Frauen-") Berufes;
  2. die Qualitätssicherung in Therapie, Rehabilitation und Prävention;
  3. die Wahrnehmung unterschiedlicher Bedürfnisse der Patient_innen/Klient_innen in ihren Lebenswelten und daraus folgender Konsequenzen für Anforderungen an ein professionelles Handeln;
  4. eine kritisch – gendersensible – Reflexion von Forschungsergebnissen sowie
  5. die Integration der Perspektive in eigene Forschungsvorhaben.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Die Relevanz der Kategorie Geschlecht ist in der Physiotherapieausbildung (Studium) wie folgt in Lehr- und Forschungsthemen zu konkretisieren:

  1. Geschlechterverteilung und die Interpretation der Segregation, z.B. spezifische Handlungsfelder, spezifische Karrierewege, Arbeitsbedingungen, Fachkräftesicherung etc.
  2. Geschichte des Berufes und daraus erwachsene aktuelle Fragen z.B. der Professionalisierung, eines Wissenschafts-Praxis-Konstrukts, der gesellschaftlichen Anerkennung etc.
  3. Theoriebildung unter Einbezug sozialer Kategorien in Physiotherapiewissenschaft und daraus resultierende Konsequenzen für die Praxis (Konsequenz für Transfer)
  4. Qualitätssicherung und Evidenzbasierung (EBP) unter Maßgabe von Gendersensibilität
  5. kritische Fragen nach den Zielgruppen, nach Nutzer_innenorientierung und Anforderungen an eine gendersensible Versorgung
  6. Kommunikation und Interprofessionalität sowie Kooperation im Gesundheitswesen

Der Beruf der Heilgymnastin/Krankgengymnastin/Physiotherapeutin hat eine lange Tradition als "Frauenberuf". Im 20. Jahrhundert bildete er sich als sog. Heil- und Hilfsberuf (Physiotherapie) komplementär zu den neuen Herausforderungen einer traditionell männlichen dominierten Medizin heraus. Für die aktuelle Professionalisierungsphase ist dies wesentlich. Bedeutet die Akademisierung eine Geschlechtsneutralisierung der Berufe oder bleibt diesen Berufen ihr immanentes (weibliches) Geschlecht erhalten?

Die sich auch in Deutschland etablierende Physiotherapiewissenschaft steht aktuell vor der Herausforderung, z.B. bedeutende soziale Dimensionen in Physiotherapiemodelle und -praxis zu integrieren. Hier kommt einer Diversitätsensibilität (z.B. Gender) eine besondere Bedeutung zu, da diese kritische Reflexion im deutschsprachigen Bereich kaum stattfindet. Die Physiotherapie wirkt – trotz obengenannter Aspekte in Praxis und Theorie – quasi genderresistent.

Die Integration der Dimension (biologisches und soziales) Geschlecht ist auf vielfältige Weise konkret zu vermitteln, z.B. Geschlecht in

  • theoretischen Konzepten der Therapieberufe
  • der Anwendung der Konzepte auf die therapeutische Praxis
  • Clinical-Reasoning-Prozessen (Klinische Beweisführung)
  • Patient_innen-Therapeut_innen-Kommunikation
  • Bezug auf die Kooperation im Gesundheitswesen
  • der Versorgungsforschung (Heilmittel Physiotherapie)
  • Prävention und Rehabilitation
  • Klinischer Forschung
  • Grundlagenforschung (Muskulatur, Training, Entspannung)
  • Anwendungskonzepten und Patient_innenedukation
  • Gesundheitsorientierung und Ressourcen für Bewegung im Lebenslauf
  • Krankheitsbewältigung z.B. im Falle chronischer Erkrankungen
  • sowie als Genderbias in der Physiotherapie- und Gesundheitsforschung

 

Zum Komplex der Geschlechtersensibilität in der Forschung sind folgende Fragen beispielhaft für die Herangehensweise: Wer sind die Autor_innen der Studie? Wie ist die Relevanzsetzung der Frage erklärt? Welche Proband_innen wurden einbezogen? Welche Besonderheiten sind bei Frauen, welche bei Männern zu definieren? Welche Kumulation von Chancen/Ressourcen oder auch Risiken/Barrieren zeigen sich für Männer und Frauen?

Mithilfe geschlechtersensibler Kategorien nach Eichler (1999) sind Studierende zu schulen, Studien kritisch zu bewerten bzw. ein Forschungsdesign gendersensibel zu entwickeln. Es ist beispielsweise danach zu fragen, ob Androzentrismus, Geschlechterinsensibilität, Geschlechterdichotomie oder ein doppelter Bewertungsmaßstab vorliegen (vgl. hierzu ausführlich den Leitfaden in Fuchs et al. 2002).

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Genderthemen sind grundsätzlich Querschnittsthemen. Eine Einführung zu Gender sollte dementsprechend im Curriculum erkennbar sein. Die weiteren Inhalte wären wie folgt zu integrieren:

  1. Geschichte und Entwicklung (Professionalisierung) der Physiotherapie, z.B. als traditioneller Frauenberuf oder Karrierewege von Männern und Frauen
  2. Theorien und Modelle der Physiotherapie – Integration sozialer Kategorien
  3. Clinical Reasoning und evidenzbasierte Physiotherapie (z.B. Stigmatisierung qua Geschlecht, Interpretation von EBP)
  4. Kommunikation/Konfliktbewältigung/Kooperation (z.B. Hierarchie, Macht und Statusgruppen im Gesundheitswesen, Faktoren gelingender Kommunikation und Kooperation)
  5. Selbstreflexion – Erfahrungen als Patientin/Patient, als Professionelle (z.B. Erfahrungen in praktischen Studienphasen, Bewegungsbiografien im Kontext von Gender), Körperbilder und Konstruktion von Körper bzw. Körperlichkeit 
  6. Forschungsmethodik und Interpretation von Studien (gender bias)
  7. Gesundheits- und Sozialpolitik bzw. Gesundheitswissenschaften (z.B. Workforce/Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen, Care-Debatte)
  8. Public Health, Rehabilitation und Prävention (Bezüge und Chancen für eine gendersensible Physiotherapie, Aspekte patientenorientierter Ansätze)

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Studienphase:

Aspekte aller acht benannten Bereiche gehören einführend in ein Bachelorstudium. Schwerpunktbildung sowie Vertiefung der Inhalte sind insbesondere für die Bereiche fünf bis acht im Masterstudium zu empfehlen.