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Gender Curriculum Ethnologie

Weiter relevant für: Entwicklungssoziologie, Kulturwissenschaften, Regionalwissenschaften

Fach: Ethnologie
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften

Lehrziele:

Eines der Studienziele ist die Erkenntnis, dass Geschlecht eine Kategorie ist, die für das Verständnis sozialer, politischer und ökonomischer Strukturen und Praxen in außereuropäischen Gesellschaften unerlässlich ist. Genderkompetenz ist notwendig, um Machtdifferentiale, Handlungsspielräume und symbolische Ordnungen zu analysieren und einen hermeneutischen Zugang zu den Lebenswirklichkeiten von Individuen und Gruppen außerhalb der westlichen Welt zu erhalten. 

Ein zweites Ziel besteht in der Reflexion eigener Geschlechtervorstellungen angesichts der Vielfalt kultureller Genderkonstruktionen.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Die Studieninhalte müssen sich an den Teilbereichen des Faches orientieren und in diese integriert werden. In den grundlegenden Veranstaltungen zur Verwandtschafts- und Sozialethnologie, der Wirtschafts-, Rechts-, Religions- und politischen Ethnologie sollten Genderaspekte berücksichtigt werden. Zur Vertiefung wäre das Angebot dezidierter Genderseminare ratsam, in denen auch eine entsprechende Profilbildung der Studierenden erfolgen kann.

Verwandtschafts- und Sozialethnologie
  • Die verwandtschaftliche Organisation einer Gesellschaft ist Ausdruck spezifischer Geschlechterverhältnisse und wirkt auf diese zurück. Unterschiedliche Modelle (z. B. patrilineare, matrilineare oder bilaterale Deszendenz, virilokale, uxorilokale oder neolokale Residenz) sind nicht nur graphisch darstellbare Strukturmodi, sondern haben Einfluss auf den Alltag von Männern und Frauen, von Mädchen und Jungen. Die Verknüpfung zwischen Modell und Lebensrealität sollte ebenso beachtet werden wie Veränderungen durch Urbanisierung und nationalstaatliche Familienprogramme.
Wirtschaftsethnologie
  • Hier stehen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die Verfügung über Erwirtschaftetes, Eigentums- und Besitzverhältnisse, Zeitbudgets, Erwerbsarbeit, Subsistenz- und Hausarbeit sowie Chancen und Risiken für Frauen und Männer durch Modernisierung und Globalisierung im Mittelpunkt. Themen könnten außerdem sein: Feminisierung der Armut, Migration, von Frauen geführte Haushalte etc.
Rechtsethnologie
  • Erb-, straf- und familienrechtlich werden Frauen und Männer in jeder Gesellschaft unterschiedlich behandelt. Die Rechtssysteme sind daher sowohl ein markanter Ausdruck herrschender Geschlechterbeziehungen als auch eine wichtige Instanz ihrer Stabilisierung und Perpetuierung. In den Gesetzen und Verordnungen lassen sich außerdem sehr gut geschlechtsbezogene Normen und Werte einer Gesellschaft ablesen. Eine Besonderheit stellt der in vielen Ländern praktizierte Rechtspluralismus dar, ein Nebeneinander von lokalem, nationalem und/oder religiösem Recht, das für die Aushandlung von Geschlechterverhältnissen virulent wird, insbesondere dann, wenn es durch die Globalisierung von Rechtsdiskursen zu Forderungen nach Innovationen kommt. Beispiel für solche Modernisierungen des Rechtswesens stellt die Implementierung von Grundsätzen des Gender Mainstreamings dar, aber auch die Einführung der Shari'a in vielen islamischen Gebieten.
Religionsethnologie
  • Religionen legitimieren symbolische Ordnungen gleichermaßen wie geschlechtsspezifische Machtverhältnisse und Geschlechterkonstruktionen. Orale Traditionen und heilige Texte, Mythologien, Geschichten aus dem Leben von Religionsstiftern, Heiligen und Märtyrern, Erzählungen vergangener Begebenheiten und moderner, religiös konnotierter Ereignisse begründen Geschlechterordnungen und verleihen ihnen die Bedeutung des Ewigen, Unumstößlichen. In einer Zeit der "Rückkehr der Religionen" gewinnt diese Dimension zunehmend an Gewicht. Wie ambivalent solche Entwicklungen heute sind, wird am Beispiel der Revitalisierung des Islams deutlich, im Rahmen dessen junge gebildete Frauen durch Forderungen nach Befolgung von Gendernormen in Erscheinung treten, die im Arabien des 7. Jahrhunderts gültig waren. Sie votieren für eine strenge Geschlechtersegregation, die Verschleierung von Frauen und argumentieren gegen einen als westlich abgelehnten Gleichheitsgedanken. Eine dem Islamismus entgegengesetzte Strömung stellt der islamische Feminismus dar, dessen Akteurinnen und Akteure den Versuch einer Re-Interpretation des Qur'an im Sinne eines modernen Emanzipationsmodells unternehmen.
    Die Behandlung des Rechtsstatus von ethnischen, religiösen oder sexuell definierten (Homosexuelle, Transsexuelle) Minoritäten könnte ebenfalls Teil dieses Blocks sein.
Politische Ethnologie
  • In vielen indigenen Gesellschaften ist die Sphäre der Politik männlich definiert. Männer vertreten ihre Meinung in öffentlichen Debatten, sie organisieren sich in Vereinigungen und Parteien und sie setzen ihre Ideen mit den Mitteln von Diplomatie und Gewalt durch. Frauen scheinen davon weitgehend ausgeschlossen, nehmen allerdings indirekt häufig Einfluss auf die Entscheidungen der Männer. Ethnologinnen haben dieser "verdeckten" Machtoption durch die Entwicklung eigener Machttheorien Rechnung getragen. Stichworte: Multifokale Machtstrukturen, Geschlechtersymmetrie.
    Heute betätigen sich Frauen in nicht-westlichen Gesellschaften als NGO-Aktivistinnen oder Politikerinnen und partizipieren offen an politischer Macht. Die diesen Aktivitäten zugrunde liegenden Mechanismen unterscheiden sich jedoch nicht selten von denen unserer Gesellschaft, sodass es ratsam ist, zwischen äußerem Anschein und tatsächlichem Handeln zu differenzieren. Ein Beispiel dafür sind die asiatischen Präsidentinnen, die diese Ämter bekleiden, weil sie als Stellvertreterinnen ihrer verstorbenen Ehemänner und Väter fungieren (dynastisches Moment).

Über diese an der "klassischen" Aufteilung des Faches ausgerichteten Struktur, die vor allem für den Grundlagenbereich relevant ist, wäre es wünschenswert, Möglichkeiten zur Vertiefung in folgenden Bereichen anzubieten:

  • interkulturelle Vergleiche von Geschlechterverhältnissen in indigenen und/oder komplexen Gesellschaften. In solchen Veranstaltungen könnten Debatten um mögliche Gender-Universalien geführt werden, die die ethnologische Geschlechterforschung bis in die 1980er Jahre hinein dominierten. Dabei würde auch die Bandbreite an Genderkonstruktionen deutlich, die möglich war und ist, könnte die Dichotomie zwischen den Geschlechtern bzw. die Existenz von alternativen Geschlechtern thematisiert werden.
  • postkoloniale Geschlechterdiskurse. Da sich diese als explizite Kritiken an westlichen Vorstellungen verstehen, bestünde hier die Gelegenheit, eigene Modelle von Männlichkeit und Weiblichkeit zu reflektieren.
  • die Bedeutung von Gender in Transformationsprozessen. Staat- und Nationenbildung, Programme der Entwicklungszusammenarbeit, Kriege und Konflikte haben Auswirkungen auf lokale Geschlechterkonstellationen. Die Genderperspektive eröffnet hier neue Möglichkeiten, Zusammenhänge zwischen Politik und Kultur, dem Einzelnen und dem Kollektiv zu erkennen.

Im Rahmen der Vermittlung ethnographischer Methoden kann Gendersensibilität in besonderem Maß problematisiert werden. Vergleiche zwischen dem Fremden und dem Eigenen können beitragen, eigene kulturelle und/oder Geschlechterstereotypen zu erkennen und zu hinterfragen. In der methodischen Ausbildung (dies betrifft die ethnographische Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung sowie weitere Methoden der qualitativen Datenerhebung) soll eine Befähigung zur kritischen Reflexion von diesbezüglichen Voreingenommenheiten erfolgen, die dazu verhelfen, die eigene Rolle und Identität zu kontextualisieren und zu relativieren.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Da Gender zu den Basiskategorien für Kultur und Gesellschaft gehört, in alle Bereiche einfließt und wirksam ist, sollte sie in jedem möglichen Modul integriert sein. Die in vielen Instituten durchgeführten Überblicksvorlesungen sollten der Bedeutung der Kategorie Gender in den Teilbereichen des Faches Rechnung tragen.

Im Hauptstudium könnte darüber hinaus ein spezielles Gendermodul zur Vertiefung angeboten werden, was auch als Qualifikation für Arbeitsfelder in der EZ o. ä. sinnvoll erscheint.

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Studienphase:

Die Inhalte sollten Bestandteil von Überblicksveranstaltungen im Bachelor-Bereich sein, aber auch in spezifische Module und Einzelveranstaltungen integriert werden. Außerdem sollten Spezialisierungen im Master-Studium möglich sein.