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Gender Curriculum Kulturwissenschaft

Fach: Kulturwissenschaften
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften

Lehrziele:

Bei diesem Entwurf für Vorschläge der Integration von Aspekten, Themenbereichen und Methoden der Geschlechterforschung in das Fach „Kulturwissenschaft” besteht ein direkter Bezug zum Bachelor-Konzept des Seminars für Kulturwissenschaft bzw. Archäologie und Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Aus diesem Grund handelt es sich um teilweise bereits dort realisierte/konzipierte Module.

Im Gegensatz zu anderen Fächern wie etwa der Germanistik oder der Archäologie, die sich auf mehr oder weniger gesicherte Traditionen, Methoden und Inhalte berufen können, ist „die ‚Kulturwissenschaft’ als Fach, einmal abgesehen von den Instituten in der ehemaligen DDR, eine ‚Erfindung’ der späten achtziger Jahre” (H. Böhme u. a. 2000). Nicht zuletzt durch angloamerikanische und französische Einflüsse auch der Postcolonial Studies bildet der Bereich der Gender Studies von Anfang an einen integralen Bestandteil beim Erwerb kulturgeschichtlicher und kulturanalytischer Kompetenz. Insbesondere durch transdisziplinäre methodologische Zugänge des Fachgebiets „Kulturwissenschaft”, die neben „Geschlecht” den Differenzkategorien – Class und Race – in ihrer bedeutungsschaffenden kulturellen Rolle nachgehen, sollen die Studierenden die implizite und explizite Funktion von Gender in unterschiedlichen Wissenskulturen rekonstruieren lernen. So soll es im Verbund von medienwissenschaftlichen, kulturanthropologischen und wissensgeschichtlichen Ansätzen möglich sein, dass die geschlechtliche Codierung von Wissensobjekten und Artefakten wie die von kulturellen Medien, Techniken und Praktiken und nicht zuletzt von Körperinszenierungen und -wahrnehmungen erkennbar wird. Zugleich geht es darum, die Studierenden zu befähigen, die Rolle von Gender als Medium kultureller Erinnerung und Kommunikation zu rekonstruieren.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Im Zentrum des Fachgebietes steht die Erforschung und kritische Reflexion der kulturellen und symbolischen Praktiken der modernen hochtechnisierten Zivilisationen – auch als historischer Prozess bis in ihre Genese im antiken Mittelmeerraum (Annales-Schule) sowie ihrer kolonialen und globalen Konflikt- und Machtgeschichte. In allen diesen Bereichen spielt Gender eine verbindende und zugleich grundierende Rolle. Zugleich kommt Gender als ‚schwankende’ Kategorie immer ins Spiel, wenn es um die Bestimmung der Grenze zwischen Natur und Kultur geht. Kulturwissenschaft, die die historische Spannung von Kultur und Natur in ihre Arbeit einbezieht, ist immer selbstreflexiv angelegt und versteht sich zugleich als Archäologie der Kultur- und Wissensgeschichte (Böhme u. a.). Gerade als Faszinationsfiguren mit einer longue durée treten dabei antike Figuren imaginärer Geschlechterbilder und -kämpfe ins Blickfeld der Forschung. Methodisch steht neben der Konzentration auf die Schriftgeschichte die Untersuchung materialer (technischer), visueller und figürlicher Traditionen (Pathosformeln) und ästhetischer Wahrnehmungsmodi.

Da Kultur als Bedeutung schaffende, symbolische Ordnung ohne Verkörperung (embodiment, incorporation, performance) nicht möglich wäre, Verkörperungen wiederum in diskursiven Feldern und durch Gendercodierungen geformt werden, sind die unterschiedlichsten Verkörperungsformen – vom normativen Idealkörper ästhetischer, politischer und medizinischer (physiognomischer) Diskurse über die imaginären/realen Kollektivkörper Nation und Armee bis hin zum virtuellen Körper im Cyberspace – zentrales Feld genderanalytischen Arbeitens in der Kulturwissenschaft. Im Rahmen einer gendersensiblen Historischen Anthropologie (Wulf) steht daneben das weite Feld der kulturellen Aisthesis, der Praxen und Techniken der Wahrnehmung, die ebenfalls nach ihrem expliziten und impliziten Genderwissen befragt werden sollen.

Kultur manifestiert sich in generalisierten kulturellen Handlungsformationen, die sich in Kulten, Ritualen und Performances äußern und sich in baulichen, institutionellen und räumlichen Feldern spiegeln und bewegen. Alle kulturellen Handlungs- und Kommunikationsformen sind medial vermittelt und werden durch Medien und in Diskursen hergestellt und geformt. Vor dem Hintergrund eines wesentlich über den rein technischen oder phänomenologischen hinausgehenden Medienbegriff, der „Medien” als Vermittler von Erkenntnisgegenständen, Individuen und Gesellschaften (Luhmann/Böhme) versteht, zählen Genderfiguren zu den zentralen kulturellen Codierungsmedien. Eine besondere Beziehung besteht daher zwischen dem medienwissenschaftlichen Schwerpunkt des Fachs und den Geschlechterstudien, gerade weil hier neue feministische Ansätze aus den Cultural Studies und der Filmtheorie (von Braun 2005) aufgenommen wurden.

Ein anderer zentraler Bereich der als Kulturwissenschaft erweiterten Gender Studies sind die Postcolonial Studies, die sich im kritischen Anschluss an Edward Saids Buch „Orientalism” (1978) auch in deutschen Studiengängen etablieren. Nicht zuletzt in globaler und postkolonialer Perspektive wurden religionsethnologische Ansätze wie die von Mary Douglas und Victor Turner u. a. rezipiert. „Postkoloniale Perspektiven”, so Homi Bhabha „entstehen aus den kolonialen Zeugnissen von Ländern der Dritten Welt und Diskursen von ‚Minoritäten’ innerhalb der geopolitischen Aufteilung von Ost und West und Nord und Süd. Sie intervenieren in jene Diskurse der Moderne, die versuchen, der ungleichmäßigen Entwicklung und den differierenden, oft von Benachteilung gekennzeichneten Geschichten von Nationen, Ethnien, Gemeinschaften und Völkern eine hegemoniale ‚Normalität’ zu verleihen” (Bhabha 1992: 171). Allerdings wurde erst im Jahr 2003 eine Studie publiziert, die die Perspektiven der Gender Studies mit denen der Postcolonial Studies verknüpft. Ein neues Feld der Postcolonial Studies sind die Critical Whiteness Studies, die sich selbstreflexiv mit der Geschichte der weißen Hegemonie, also den impliziten und expliziten Imaginationen und Codierungen weißer Überlegenheit, auseinandersetzen.

Relativ spät in den Kanon der kulturwissenschaftlichen Gender Studies sind die noch jungen Men’s Studies oder Masculinity Studies aufgenommen worden. Sie beschäftigen sich mit der kulturhistorischen Produktion von Männlichkeit(en) und untersuchen besonders Formen und Modi der Hegemonialisierung (Connell) normativer Konzepte in kolonialen oder/und klassenspezifischen Kontexten. Ein weiteres Untersuchungsfeld – der sogenannten Queer studies – sind die gesellschaftlichen Strategien der Marginalisierung und Stigmatisierung von nicht heteronormativen Männlichkeit(en) (Mosse, Brunotte).

Eine Kulturwissenschaft, die sich auch als selbstreflexive Archäologie der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte (Böhme) versteht, muss an zentraler Stelle nach der Rolle von Gender als eines (oft genug) verschwiegenen epistomologischen Fundaments von Wissen fragen (vgl. von Braun). Eine Wissensgeschichte, die nicht mehr als eine „Triumphgeschichte” des Fortschritts konzipiert wird, sondern die „Wissenschaft als kulturelle Praxis” (Bödecker u. a. 1999) und als Geschichte von Macht (Foucault) versteht, untersucht die Begriffe, Methoden und Theorien der Wissenschaften danach, wie sich in ihnen die (nicht immer gewaltfreie) Codierung durch und von Gender vollzieht.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Grundsätzlich ist ein Anteil an kritischer Reflexion auf die implizite und explizite Gendercodierung von kulturellen Wissensformen, Medien und Praktiken in allen Modulen präsent. Daneben sind gesonderte Modulformationen zu den oben genannten Schwerpunkten einzurichten.

  1. Modulelement: Verkörperung – Medien – Erinnerung – Geschlecht
    • Vermittlung der grundlegenden Gendercodierung aller Verkörperungsformen – in Wissensdiskursen, Figurationen und bei imaginierten Kollektivkörpern. Entwicklung des erweiterten Medienbegriffs, Einführung in die Theorie von embodiment, performance etc.
  2. Modulelement: Geschlecht als Kategorie von Wissen
    • Einführende Vermittlung von Wissenstheorien (Foucault u. a.), die auf den Zusammenhang von Geschlecht als grundlegender Kategorie von Wissen wie auf die geschlechtliche Codierung von Wissensobjekten zugleich reflektieren.
  3. Modulelement: Männlichkeit(en) – Hegemonie – Körper
    • Einführung in die Masculinity Studies (Theorien, Ansätze Methoden).
  4. Modulelement: Faszinationsgeschichte - Pathosformeln - imaginäre Geschlechterfiguren
    • Exemplarische Untersuchung anhand ausgewählter ikonographischer Figuren/Bildgruppen (Laokoon, Sphinx, Salomé) zur Faszinationsgeschichte mythischer Geschlechterkonstruktionen bis in die Moderne.
  5. Modulelement: Kolonialgeschichte, Geschlecht und Race
    • Einführung in die Postcolonial Studies.
  6. Modulelement: Dinge, Techniken und Praktiken und ihre implizite geschlechtliche Codierung
    • Vermittlung einer historisch, medial und regional differenzierten Orientierung über das kulturwissenschaftliche Gegenstandsspektrum und der gendersensiblen Fähigkeit, diese Felder und Objekte angemessen interpretieren und kontextualisieren zu können.

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Studienphase:

Die Module 1–4 sollten in das Bachelor-Studium integriert werden, Modulelemente zu systematischen und weiterführenden Fragestellungen (Module 5–6) können in den Masterstudiengang integriert werden.