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Gender Curriculum Mathematik

Fach: Mathematik
Fächergruppe/n: Mathematik und Naturwissenschaften

Lehrziele:

Das wesentliche Ziel der Integration von Genderaspekten in die Lehre des Fachs Mathematik ist die Sensibilisierung der Studierenden für die Bedeutung des Themas Gender für die Mathematik. Damit verbunden ist eine Reflexion über die Mathematik als eine durch den kulturellen und historischen Kontext bedingte Disziplin. Eine solche Reflexion dient auch der Vermittlung eines breiteren Mathematikbildes und möglicherweise der besonderen Motivation von Studentinnen für die Mathematik.

Genderkompetenz als berufsfeldbezogene Schlüsselqualifikation ist im späteren Berufsalltag von Mathematikerinnen und Mathematikern relevant, z. B. bei einer gendersensiblen Gestaltung des Arbeitsumfelds. Von besonderer Wichtigkeit ist Genderkompetenz für Mathematiklehrerinnen und -lehrer, denn Mathematikunterricht sollte in allen Facetten (von der Konzeption der Unterrichtseinheiten bis zum Agieren der Lehrkräfte im Unterricht) gendersensibel sein.

Genderkompetenz umfasst einerseits Wissen über Gender allgemein und über Genderaspekte des Fachs Mathematik im Besonderen und andererseits (Selbst-)Reflexionskompetenz hinsichtlich Einstellungen und Stereotypen in Bezug auf Mathematik und Geschlecht.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Die Mathematik als „streng logische“, „objektive“ Wissenschaft ist der Geschlechterforschung schwer zugänglich. Um sie aus der Genderperspektive zu analysieren, wird sie in einen allgemeineren Kontext gestellt und „von außen“, z. B. aus historischer, soziologischer, pädagogischer Sicht betrachtet. Hierbei stehen in der Regel „Frauen (und Männer) in der Mathematik“ oder „Mädchen (und Jungen) im Mathematikunterricht“ im Fokus der Forschung.

Im Folgenden werden zunächst zwei verschiedene Themenfelder des Bereichs „Frauen (und Männer) in der Mathematik“ vorgestellt, die wichtige Lehrinhalte zu Mathematik und Gender sein können. Anschließend sollen kurz einige Ansätze wissenschaftskritischer Forschung zu Mathematik und Gender erwähnt werden, die über das Studium der Akteurinnen und Akteure hinausgehen. Das Praxisfeld Schule und dazugehörige Inhalte insbesondere der Fachdidaktik werden am Ende des Abschnitts behandelt.

 

Mathematik als Studien- und Arbeitsfeld von Frauen und Männern

Ausgangspunkt sind hier zunächst Zahlen und Fakten, also aktuelle Statistiken zur Geschlechterverteilung im Mathematikstudium und im Beruf (z. B. in der Wissenschaft) in Deutschland und im internationalen Vergleich sowie im Vergleich zu anderen Fächern.

Detaillierte Ergebnisse liefern einige Studien, die in den vergangen Jahren in Deutschland durchgeführt wurden und dabei Geschlechteraspekte der Mathematik im Studium und im Beruf soziologisch oder sozialpsychologisch analysieren. So wurden Studierende der Mathematik zu ihrer Einstellung zum Fach, zur Selbsteinschätzung der eigenen Leistung, zur Karriereplanung etc. befragt. Neben Geschlechterunterschieden wurden dabei auch (z. T. größere) Unterschiede zwischen den Studiengängen (Lehramt bzw. Diplom/Bachelor u. Master) festgestellt. Weibliche Studierende trauen sich seltener als ihre männlichen Kommilitonen eine Promotion zu, u. a. weil diese ihnen zu unsicher erscheint. Des weiteren wurden Karriereverläufe von Absolventinnen und Absolventen sowie Unterschiede z. B. bei der Bezahlung oder hinsichtlich ihrer Tätigkeitsbereiche analysiert sowie Vergleiche mit Absolventinnen und Absolventen anderer Fächer wie bspw. der Physik angestellt.

Eine weitere wichtige Studie beschäftigt sich mit erfolgreichen Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik und den Bedingungen, die ihre Karriere ermöglicht haben. Anhand von Interviews mit 65 in Deutschland tätigen Mathematikprofessorinnen (und habilitierten Dozentinnen mit Dauerstelle) zeigte sich, dass die meisten dieser Frauen bereits frühzeitig im Studium gefördert wurden und Zugang zu einer mathematischen Arbeitsgruppe hatten. Zugleich berichteten viele der Frauen von Diskriminierungserfahrungen im Verlauf ihrer Karriere.

Nicht fehlen sollte in diesem Themenfeld ein internationaler Vergleich. Die Partizipation von Frauen an der Mathematik ist nicht in allen Ländern so (relativ) gering wie im deutschsprachigen Raum. Dafür werden in der Literatur verschiedene Begründungsansätze diskutiert.

 

Frauen in der Geschichte der Mathematik 

In der Geschichte der Mathematik haben Frauen immer wieder bedeutende Beiträge geleistet. Erst die historische Forschung zu Frauen in der Mathematik hat viele dieser Wissenschaftlerinnen und ihre mathematischen Leistungen sichtbar gemacht. Es liegen inzwischen viele Einzelbiographien von Mathematikerinnen vor, die Leben und Werk dieser Frauen behandeln und dabei auch die Barrieren aufzeigen, die sie zu überwinden hatten. Eine neue Biographie von Emmy Noether stellt Beziehungen her zwischen ihrem Außenseiterinnenstatus als Frau in der Mathematik und ihren ungewöhnlichen Lehr- und Forschungsmethoden.

Auch gibt es Gruppenbiographien, z.B. über die ersten promovierten Mathematikerinnen in Deutschland, die eingebettet sind in eine umfassende Darstellung der spezifischen Schwierigkeiten von Frauen in der Wissenschaft, (z.B. beim Zugang zum Studium). So waren ausländische Frauen die ersten, die in Deutschland Mathematik studierten und damit zeigten, dass Frauen in der Mathematik erfolgreich sein können.

Geschichte von Frauen in der Mathematik sollte immer auch verbunden sein mit der Geschichte der wissenschaftlichen Institutionen und Arbeitsweisen (Universitäten, Akademien, Publikationswesen) und der Ausgrenzung von Frauen aus der institutionalisierten Wissenschaft. Ferner ist auch der Zugang zur Schulbildung von zentraler Bedeutung; hier liegen Darstellungen der Geschichte des Mathematikunterrichts insbesondere für Mädchen vor.

 

Wissenschaftskritische Genderforschung zu Mathematik

Im deutschsprachigen Raum sowie z. B. auch in Großbritannien und den USA gilt die Mathematik als männliche Disziplin. Das männliche Image der Mathematik und die Distanz von Frauen und Mädchen zum Fach bedingen einander; in der Literatur wird von einem „Teufelskreis“ gesprochen. Vereinzelt wurde in der Forschung die Frage gestellt, ob und in welcher Weise die Mathematik selbst zu diesem Teufelskreis beiträgt. Die (männlich geprägte) Fachkultur und der Mathematikunterricht werden hierbei als wesentliche Einflussfaktoren genannt.

Im Rahmen der feministischen Naturwissenschaftskritik wird (unter dem Stichwort „Gender in Science“) der Frage nachgegangen, inwieweit Geschlecht als Einflussfaktor bei der Entstehung von naturwissenschaftlichem Wissen fungiert. Zu dieser Frage wurde z. B. für die Biologie und die Physik schon erfolgreich geforscht. Mathematisches Wissen aus Genderperspektive zu studieren, erscheint ungleich schwieriger. Ansatzpunkte könnten Studien sein, die „frauentypische“ Tätigkeiten als Ursprung mathematischen Wissens betrachten: So könnte die Musterweberei ein Ausgangspunkt für die (scheinbar anwendungsfreie) Arithmetik des Euklid gewesen sein. In der Ethnomathematik wird u. a. implizit mathematisches Handeln z. B. im (Kunst-)Handwerk analysiert; hierbei waren und sind oftmals Frauen die ausführenden „Expertinnen“.

 

Mathematikunterricht und Geschlecht

Für das Praxisfeld Schule ist Wissen über Mathematikunterricht und Geschlecht unabdingbar. Hier gibt es aus der Fachdidaktik und angrenzenden Disziplinen eine Reihe von Ergebnissen. In Leistungsvergleichsstudien wie TIMSS und PISA wurden Geschlechterunterschiede in der Mathematikleistung und auch in den Einstellungen zur Mathematik festgestellt. In Deutschland und den meisten anderen Ländern erzielen Jungen bessere Leistungen und haben eine positivere Einstellung zur Mathematik, weniger Mathematikangst, ein höheres Leistungsselbstkonzept etc. Jedoch gibt es auch Länder, in denen das anders ist. Analysen zeigen eine Korrelation zwischen dem Gender Gap Index eines Landes und den bei PISA festgestellten Geschlechterunterschieden in der Mathematikleistung.

In der Forschungsliteratur diskutierte Begründungsansätze für die genannten Geschlechterunterschiede sind Geschlechterstereotype bei Eltern, Lehrkräften, Peers, Unterrichtsmethoden und -materialien sowie ein unbewusstes „doing gender“ im Mathematikunterricht. Des Weiteren findet man Ansätze für eine gendersensible Gestaltung und Durchführung von Mathematikunterricht; diese gehen oftmals mit fachdidaktischen Ansätzen für „guten Mathematikunterricht“ einher (Methodenvielfalt, Einbettung in lebensweltliche Kontexte etc.). Schließlich werden Möglichkeiten entwickelt, mit denen Lehrkräfte ihr eigenes Verhalten und ihre eigenen (impliziten) Annahmen reflektieren können.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Reine Gender-Module könnten in verschiedener Form ins Mathematikstudium integriert werden.

Falls Geschichte der Mathematik (oder ähnliches) im Studium vorgesehen/wählbar ist:

  • Modul Frauen in der Geschichte der Mathematik: Dieses könnte als (Vortrags-)Seminar oder als Vorlesung durchgeführt werden. Inhalt könnte das Leben und Werk verschiedener Mathematikerinnen aus der Geschichte sein, eingebettet in eine Darstellung der Geschichte der Mathematik, der Geschichte der wissenschaftlichen Institutionen und insbesondere der Geschichte der Frauenbildung. Die Lehrveranstaltung könnte auch einen Schwerpunkt auf mathematische Inhalte legen und z. B. in begleitenden Übungen mathematische Themen behandeln, die den Forschungsfeldern der vorgestellten Frauen nahe sind.

Falls Module zu Mathematik und Gesellschaft o. ä. im Studium vorgesehen/wählbar sind, könnten auch hier Lehrveranstaltungen mit einem Genderfokus angeboten werden. Als beste Veranstaltungsform eignet sich dabei das Seminar. Methodisch könnten die für die Mathematik üblichen Einzelvorträge kombiniert werden mit Gruppenarbeit, Diskussion von Texten und anderen aktivierenden Lehr-/Lernformen. Themen für solche Seminare könnten sein:

  • Seminar Frauen und Mathematik: Mögliche Inhalte: Frauen in der Mathematik gestern und heute: Einzelne Frauen aus der Geschichte der Mathematik, Geschichte der Frauenbildung, Beginn des Frauenstudiums in Deutschland und erste promovierte Mathematikerinnen, Geschichte des Mathematikunterrichts (für Mädchen), Zahlen und Fakten zu Frauen in der Mathematik heute (z. B. auch an der eigenen Universität), Karriereverläufe von Mathematikerinnen, internationaler Vergleich, Genderstereotype in Mathematik-Schulbüchern, männliches Image der Mathematik.
  • Seminar Mathematik und Gender: Hier wäre ein interdisziplinäres Seminar mit Teilnehmenden aus der Mathematik sowie aus den Geistes- oder Sozialwissenschaften (Studierende der Gender Studies, falls vorhanden) wünschenswert, um die verschiedenen Themen aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen Wissenshorizonten zu diskutieren. Mögliche Inhalte neben den oben genannten zu Frauen und Mathematik: Was ist Gender? Was ist Mathematik? Feministische Naturwissenschaftskritik und Ansätze einer wissenschaftskritischen Genderforschung zu Mathematik.

Alle oben genannten Module eignen sich sowohl für das Fachstudium Mathematik als auch für das Lehramtsstudium Mathematik. Speziell für Lehramtsstudierenden sind außerdem Gender-Module im Bereich der Fachdidaktik (oder in Kooperation mit der Fachdidaktik) denkbar. Ein mögliches Modul wäre:

  • Seminar Mathematikunterricht und Geschlecht: Neben der Vermittlung von Wissen zum Thema sollte hier die Selbstreflexion der Studierenden (eigene Einstellung zur Mathematik, implizit vorhandene Geschlechterstereotype in Bezug auf das Lehren und Lernen von Mathematik) im Fokus stehen. Da Methodenvielfalt als wichtiger Baustein für einen gendersensiblen Mathematikunterricht angesehen wird, bietet es sich an, auch im Seminar viele verschiedene Unterrichtsmethoden (z. B. Gruppenpuzzle, Museumsrundgang) anzuwenden. Denkbar ist auch die Konzeption einer kleinen gendersensiblen Unterrichtseinheit durch Gruppen von Studierenden. Als Prüfungsform könnte ein Portfolio mit den gesammelten und kommentierten Lernergebnissen dienen.

Des Weiteren könnte Gender auch als Querschnittsthema in anderen Lehrveranstaltungen der Mathematik-Studiengänge behandelt werden. Hierbei ist eine Integration von Gender in rein fachmathematische Lehrveranstaltungen eher schwer vorstellbar. Hier wäre aber immerhin denkbar und wünschenswert, an geeigneter Stelle auf den Beitrag von Frauen zur behandelten Mathematik hinzuweisen.

Falls im Studium „metamathematische“ Module wie Geschichte der Mathematik, Mathematik und Gesellschaft o. ä. vorgesehen/wählbar sind, die u. a. auch auf eine Reflexion des Faches abzielen, ist hier die Einbindung von Genderthemen wie den oben genannten vorstellbar. So könnte in Vorlesungen oder Seminaren zur Geschichte der Mathematik die Geschichte von Frauen in der Mathematik ein Einzelthema oder ein immer wiederkehrendes Thema sein, auch könnten (z. B. in einigen Seminarvorträgen) einzelne Mathematikerinnen vorgestellt werden. In Modulen zu Mathematik und Gesellschaft (o. ä.) könnte z. B. Ethnomathematik behandelt werden und dabei die mathematiknahen von Frauen ausgeführten und tradierten Tätigkeiten ein Thema sein. Auch ein Vergleich der Karriereverläufe von Mathematikerinnen und Mathematikern wäre vorstellbar.

In der Mathematikdidaktik ist Gender ein offensichtliches Querschnittsthema. So sollte hier bereits in einführenden Modulen das Thema Mathematikunterricht und Geschlecht behandelt werden.

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Studienphase:

Gender kann querschnittsartig schon ab dem ersten Studienjahr Thema sein. Gender-Module sind sowohl im Bachelor als auch vertiefend im Master denkbar und wünschenswert. Lehrveranstaltungen, die auch auf eine Reflexion des Faches abzielen, sind evtl. erst ab dem zweiten Jahr sinnvoll. Lehrveranstaltungen, die auch fachmathematische Inhalte (und insbesondere ihre Wiederholung/Wiederauffrischung) im Fokus haben, sollten ebenfalls nicht zu früh angeboten werden.