Fach:
Medizin
Fächergruppe/n: Humanmedizin/ Gesundheitswissenschaften
Die Kategorie Geschlecht spielt eine zentrale Rolle für die Ausübung des Berufes als Ärztin/Arzt. Neben biologischen Unterschieden („sex“) wirken auch soziokulturelle Unterschiede („gender“) auf die Entstehung von Erkrankungen und deren Wahrnehmung. Zudem kann die Interaktion und Kommunikation zwischen dem ärztlichen Fachpersonal und den zu behandelnden Personen nicht losgelöst vom Geschlecht und den damit assoziierten Geschlechterrollen betrachtet werden. Diese können für die Diagnosestellung und medizinische Versorgung bedeutsam sein.
Der medizinischen Lehre kommt damit eine Schlüsselrolle zu, indem sie die Studierenden befähigt, geschlechterspezifische Unterschiede zu erkennen und diese Erkenntnisse in der eigenen ärztlichen Tätigkeit zu nutzen. Neben der Vermittlung von kognitivem Wissen und geschlechtersensibler Handlungskompetenz ist auch eine Sensibilisierung der Studierenden bzgl. der eigenen Geschlechterrolle sowie vorhandener Geschlechterstereotypen und deren Bedeutung für die Ausübung des Berufes als Ärztin/Arzt erforderlich. Am Ende ihres Studiums sollen Studierende in der Lage sein, die Geschlechterperspektive als eine wichtige Beurteilungs- und Handlungsdimension in der ärztlichen Tätigkeit und der interdisziplinären Kommunikation sicher nutzen zu können.
Die Themenbereiche sollten sich am Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) orientieren. Es handelt sich um ein kompetenzbasiertes Kerncurriculum mit Empfehlungscharakter, welches von allen medizinischen Fakultäten in Deutschland konsentiert wurde und folgende Themengebiete umfasst:
Basierend auf den Ergebnissen einer an der Charité-Universitätsmedizin Berlin durchgeführten Tagung mit Schreibwerkstätten zu „Kompetenzen in der gendermedizinischen Lehre“ wurden die etablierten geschlechterspezifischen Lerninhalte und Kompetenzen ergänzt:
Studierende der Humanmedizin sollten während ihres Studiums Wissen und Handlungskompetenzen in folgenden Bereichen erwerben, die für die einzelnen Fachdisziplinen jeweils zu spezifizieren sind:
1. Gesundheit und Gesellschaft (Beschreibung der Rolle des ärztlichen Fachpersonals in Deutschland und des Gesundheitssystems)
2. Prävention (Beratungsanlässe)
3. Organ- und Körpersystem (Prinzipien normaler Funktion)
4. Krankheitsmodelle (Krankheitsentstehung und Diagnostik)
5. Geschlechterspezifische Therapie (allgemein, pharmakologisch, interventionell)
6. Geschlechtergerechte Wissenschaft/Studienplanung und Design
Zu den Kernkompetenzen einer in der gendermedizinischen Lehre tätigen Person gehören:
Grundsätzlich ist es notwendig geschlechtersensible Medizin als Querschnittsthema zu etablieren, da geschlechtersensible Erkenntnisse in allen Fachbereichen eine Rolle spielen.
Einheitliche und validierte Lehr- und Lernziele sind eine Voraussetzung für die systematische Implementierung gender-sensibler Inhalte
Angestrebt werden sollte eine longitudinale Integration von Lernzielen in alle Lehrformate und Fächer über alle Semester hinweg mit prüfbaren Inhalten. Dieses ist beispielhaft im Modellstudiengang Medizin der Charité-Universitätsmedizin Berlin gelungen. Ein Zwischenschritt ist die Integration von geschlechterspezifischen Aspekten als Lernziele und Lerninhalte in mehrere Lehrveranstaltungen (sechs deutsche Medizinfakultäten). Hilfreich bei der Implementierung der Lernziele in ein neues Curriculum ist das modular aufgebaute e-Learning Programm „eGender“ (http://egender.charite.de/de/) und die Nutzung der nun automatisierten Datenbank GenderMedDB (http://gendermeddb. charite.de/) für Lehrende. Umfangreiche Erfahrung und Beratung zur Implementierung von gendermedizinischer Lehre bieten die Medizinische Universität Innsbruck (Koordinationsstelle), die Medizinische Universität Wien (Gender Medicine) und die Medizinische Universität Graz (gender:unit).
Angestrebte zeitliche Dimensionen: Famulaturreife, PJ-Reife, Weiterbildungsreife
Angestrebte Tiefendimension: 1. Faktenwissen (Was?), 2. Handlungs- und Begründungswissen (Wie und Warum?), 3. Handlungskompetenz (3a. Unter Aufsicht selber tun, 3b. Selbständig tun können). Schritt 3 ist bisher noch nicht erreicht.
Es ist darauf zu achten, dass die angestrebten Lernziele prüfbar sind. Eine Festlegung auf das geeignetste Prüfungsformat für jedes Lernziel sollte angestrebt werden.
Initiierung von Diskussionsprozessen in der Hochschule, die zu einer Neubewertung der Frauen- und Geschlechterforschung als Innovationsbereich sowie als wichtiges Qualitätsmerkmal für die medizinische Ausbildung und Versorgung führen (z. B. die systematische Ausbildung von Lehrenden in der Gendermedizin und die Einrichtung von Professuren für Frauen- und Geschlechterforschung in der Medizin). Sollte eine systematische Implementierung noch nicht möglich sein, bietet es sich an Ringvorlesungen einzurichten und ExpertInnen unterschiedlicher Fachrichtungen zu Diskussionsrunden einzuladen, um institutionell das Bewusstsein für geschlechtersensible Inhalte zu stärken.
Die geschlechterbezogenen Studieninhalte sind kontinuierlich in das Medizinstudium, d. h. von Studienbeginn bis zum Ende des Studiums, zu integrieren und variieren nach Fach und Studienabschnitt. So hat es sich zum Beispiel als sinnvoll erwiesen, bereits zu Studienbeginn eine Einführungsveranstaltung zum Thema „Gender in der Medizin” (Erfahrungen der Medizinischen Hochschule Wien und der Charité-Universitätsmedizin Berlin) anzubieten, mit dem Ziel, neben der Vermittlung von kognitivem Wissen auch eine Sensibilisierung der Studierenden für geschlechterbezogene Fragestellungen und die eigenen Geschlechterrollen zu erreichen.