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Gender Curriculum Pharmazie

Fach: Pharmazie
Fächergruppe/n: Mathematik und Naturwissenschaften

Lehrziele:

Den Studierenden soll vermittelt werden, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Gesundheit und Krankheit und der Arzneimittelwirkung zu berücksichtigen sind und wie sie sich auf die Verordnung und Anwendung von Arzneimitteln auswirken. Frauen und Männer haben mit Blick auf die Gesundheit in der Familie traditionell auch unterschiedlich gewachsene Funktionen und unterscheiden sich darüber hinaus im Gesundheitsverhalten. Die Studierenden sollen im direkten Vergleich von Männern und Frauen diese Unterschiede erkennen und sie hinsichtlich ihrer Ursachen und Konsequenzen bewerten. Dazu gehört auch eine geschlechtsdifferenzierende Betreuung und Beratung von Männern und Frauen in den Apotheken.

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Lehrinhalte/fachspezifische Inhalte der Geschlechterforschung:

Geschlechtsbedingte Unterschiede bei der Ausprägung von Arzneimittelwirkungen bei Männern und Frauen haben physiologische, aber auch verhaltensabhängige Ursachen. Dabei ist generell festzustellen, dass inzwischen der Forschungsbedarf auf diesem Gebiet zwar erkannt ist, die derzeitige Studienlage aber für viele der offenen Fragen noch keine abschließende Bewertung zulässt. So ist bekannt, dass Krankheiten bei Männern und Frauen häufig mit unterschiedlichen Prävalenzen bzw. in unterschiedlichen Lebensphasen auftreten, wobei ein Teil dieser Effekte hormonell bedingt ist oder zumindest hormonell überlagert wird. Warum dies so ist, kann bisher nur ansatzweise erklärt werden und hat in der Regel mehr als eine Ursache.

Deshalb sollte den folgenden Sachverhalten bzw. Fragen mehr Aufmerksamkeit in Forschung und Lehre gewidmet werden:

Physiologische Unterschiede
  • Welchen Einfluss haben geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich Gewicht, Volumen, Körperoberfläche, Fettverteilung, Muskelmasse etc. auf die Arzneimittelwirkung und die Ausbildung unerwünschter Arzneimittelwirkungen?
  • Wie verschieden ist die Metabolisierung von Arzneistoffen, aber auch von bestimmten Lebensmitteln bei Männern und Frauen und welche Schlussfolgerungen sind daraus für die Dosierung zu ziehen?
  • Wie ist die unterschiedliche Schmerzverarbeitung bei Männern und Frauen zu erklären und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Diagnose und Therapie, zum Beispiel bei Eintritt eines Herzinfarktes?
  • Reagieren Frauen und Männer unterschiedlich auf den Anstieg toxischer Substanzen in der Umwelt (z. B. im Wasser und in der Luft)?
Verhaltensbedingte Unterschiede
  • Welchen Einfluss hat die Erziehung auf das Rollenverhalten von Mädchen und Jungen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Anwendung von Arzneimitteln (z. B. Einstellungen und Erwartungshaltungen bezüglich einer Arzneimitteltherapie und der sich daraus ableitenden Compliance)
  • Wie sind ethnische und kulturelle Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit den Themen Gesundheit, Krankheit und Arzneimittelgebrauch assoziiert?
  • Warum und mit welchen Konsequenzen setzen Männer und Frauen andere Strategien bei der Konfliktbewältigung ein?

Die noch immer zu verzeichnende Übersterblichkeit der Männer im mittleren Lebensalter hat dazu geführt, dass Erkrankungen bei Männern ernster genommen werden als bei Frauen. Folglich werden zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern schneller und gründlicher diagnostiziert, und sie werden mit moderneren und oft auch teureren Methoden und Arzneimitteln behandelt. Daraus ergibt sich eine relative Unterversorgung der Frauen zum Beispiel bei Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Andererseits ist bei Frauen eine Überversorgung mit Psychopharmaka zu verzeichnen, die besonders bei betreuenden Berufen, aber auch bei Hausfrauen ausgeprägt ist. Auch medikamentengestütztes Suchtverhalten wird bei Frauen häufiger vorgefunden als bei Männern.

Dass Frauen Arzneistoffe langsamer metabolisieren als Männer und demzufolge auch schneller toxische Wirkungen ausbilden, ist bisher nur für einige biologisch aktive Substanzen (z. B. Alkohol) im Detail untersucht. Bei Dosisfindungsstudien sollte deshalb künftig stärker darauf geachtet werden, ob geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Metabolisierung von Arzneistoffen relevant sind und in der Dosierung berücksichtigt werden müssen.

Die in der feministischen Literatur oft beklagte „Medikalisierung weiblicher Biographien” wird vor allem beim überdurchschnittlich höheren Gebrauch von Tranquillizern, insbesondere den Benzodiazepinen, durch das weibliche Geschlecht deutlich, aber auch in der Diskussion um die Hormonersatztherapie während und nach dem Klimakterium. Gleichermaßen bedenklich sind jedoch auch die Versuche, die generelle und sexuelle Leistungsfähigkeit von Männern durch sogenannte Anti-Aging-Therapien zu erhalten bzw. zu steigern.

Bezüglich ihres Gesundheitsverhaltens sind Frauen zumeist deutlich gesundheitsbewusster als Männer und suchen Gesundheitseinrichtungen auch häufiger auf. Bei apothekenbasierten Studien findet man regelmäßig ca. 2/3 Frauen und 1/3 Männer unter den TeilnehmerInnen. Präventiven Maßnahmen stehen Frauen ebenfalls aufgeschlossener gegenüber und erfüllen in der Familie oft die Funktion des „Caregivers”. Was dies für die Frauen bedeutet, sollte ebenfalls Gegenstand der Forschung sein.

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Integration der Inhalte der Geschlechterforschung in das Curriculum:

Auch im Gesundheitsbereich (so auch in der Pharmazie) ist der Geschlechteraspekt im Sinne geschlechterabhängiger Unterschiede bei Männern und Frauen ein typisches Querschnittsthema, das praktisch alle wissenschaftlichen Fragestellungen berührt, allerdings mit unterschiedlicher praktischer Relevanz. Aus diesem Grunde sollten geschlechtsbedingte Unterschiede vorrangig dann Erwähnung finden, wenn dies aus fachlichen Gründen geboten ist und Konsequenzen für eine differenzierte Therapie von Männern und Frauen hat.

Ein besonders wichtiges Thema, das auch von übergeordneter Bedeutung ist, stellen „Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit” dar, das bereits jetzt in die Pharmakologieausbildung integriert ist.

Ein spezifisches „Gender-Modul” ist nur dort sinnvoll, wo es noch empirische Defizite oder aber grundsätzlichen Diskussionsbedarf gibt. Dies trifft zum Beispiel auf die Einbeziehung von Frauen in klinische Studien zu, aber auch auf die Anwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft und der Stillperiode, was von übergeordneter Bedeutung und gleichermaßen in der Ausbildung der MedizinerInnen zu berücksichtigen ist.

Ein weiteres geschlechtsspezifisches Thema ist die Hormonanwendung zur Kontrazeption und als Hormonersatztherapie. Methodisch sollte auch hier die vergleichende Risiko-Nutzen-Bewertung unterschiedlicher Therapien im Mittelpunkt stehen.

Mit Blick auf die geltende Approbationsordnung für Apotheker sind folgende Fachgebiete von besonderer Relevanz für die Vermittlung geschlechtsspezifischer Inhalte:

  • Auf die physiologischen Ursachen für geschlechtsbedingte Unterschiede in der Arzneimittelwirkung kann bereits während des ersten Studienabschnitts („Grundlagen der pharmazeutischen Biologie und der Humanbiologie”) eingegangen werden. Dazu gehören u. a. die unterschiedlichen Häufigkeiten, mit denen Erkrankungen bei Männern und Frauen auftreten.
  • Schwerpunkt in der Pharmakologie und Toxikologie sind zunächst die teratogenen Wirkungen von biologisch aktiven Substanzen sowie die besondere Vorsicht bei der Anwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft und der Stillperiode. Darüber hinaus sind die geschlechtsbedingten Unterschiede beim Metabolismus von Arzneimitteln herauszuarbeiten, die zum großen Teil durch die unterschiedliche Ausstattung mit den Enzymfamilien des Cytochroms P 450 erklärbar sind.
  • Innerhalb der Klinischen Pharmazie ist die Pharmakoepidemiologie dasjenige Fachgebiet, das über die notwendigen Methoden in der Nachmarktbeobachtung verfügt, um geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Arzneimittelwirkung herauszuarbeiten, ihre Ursachen zu diskutieren und die Konsequenzen zu bewerten. Den Studierenden sollte deshalb vermittelt werden, welchen Regeln ein pharmakoepidemiologisches Studiendesign zu folgen hat und welche Kriterien zur Bewertung von Studienergebnissen herangezogen werden. Unter der Voraussetzung, dass Geschlecht und Alter als unabhängige Variablen erfasst sind, sollten zunehmend auch Verordnungsdaten, wie sie z. B. bei den Krankenkassen erfasst werden, als Datenbasis genutzt werden, um geschlechtsspezifische Unterschiede in der Arzneimittelversorgung aufzudecken. Die Etablierung einer pharmakoepidemiologischen Datenbank, wie sie schon im Jahr 2004 gefordert wurde, sollte auch aus Sicht der gesundheitsbezogenen Geschlechterforschung unterstützt werden.
  • Die Versorgungsforschung, die die Ursachen und Konsequenzen einer unterschiedlichen Arzneimittelanwendung bei Männern und Frauen untersucht, ist in der deutschen Pharmazie jedoch auf Grund der traditionell stark naturwissenschaftlich ausgerichteten Ausbildung bisher kaum etabliert, muss aber dringend methodisch weiter entwickelt und ebenso wie die Pharmakoepidemiologie angemessen und dauerhaft in Lehre und Forschung verankert werden.

Generell gilt, dass es auch bezüglich der Geschlechterdifferenzierung eine enge inhaltliche Abstimmung der Ausbildung in der Medizin und der Pharmazie geben sollte.

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Studienphase:

Die genannten Inhalte sollten wie beschrieben sowohl in das Grund- als auch in das Fachstudium integriert werden, wobei der Schwerpunkt auf den Fächern Pharmakologie, Klinische Pharmazie und Pharmakoepidemiologie liegt.

Eine Vertiefung in Masterstudiengängen ist sinnvoll und bereits möglich (z. B. beim Masterstudiengang Health and Society – International Gender Studies Berlin).