Fach:
Politikwissenschaft
Fächergruppe/n: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Die Studierenden sollen neben einem systematischen Überblick zu den historischen Entwicklungslinien des feministisch-politikwissenschaftlichen Ansatzes zentrale theoretische Konzepte und Methoden feministischer Politikwissenschaft kennen- und verstehen lernen. Lehrziel ist die Qualifizierung der Studierenden, diese in den unterschiedlichen Teilgebieten der Politikwissenschaft (Politische Theorie, Politische Systeme im Vergleich, Politisches System der Bundesrepublik Deutschland, Internationale Beziehungen und Europaforschung, Methoden) theoretisch und empirisch anzuwenden sowie eine kritische Perspektive im Denken und im politischen Handeln einnehmen zu können.
Ausgangspunkt bildet die Vermittlung und Erarbeitung einer politikwissenschaftlichen Genderkompetenz, welche die Studierenden dazu befähigt, Geschlecht als ein konstituiertes (Macht-)Verhältnis zu begreifen, das bei der Herausbildung von gesellschaftlichen bzw. politischen Strukturen und Prozessen eine entscheidende Rolle spielt. Hierbei geht es sowohl darum zu erkennen, wie die politische Wissenschaft und politische Praxis die Geschlechterverhältnisse auf verschiedenen Ebenen prägt, als auch darum, inwiefern politische Prozesse, Strukturen und Inhalte durch die Geschlechterverhältnisse beeinflusst werden, in denen sie verankert sind (vgl. Kurz-Scherf 2006: 244).
Ging es innerhalb der feministischen Politikwissenschaft zunächst darum, die vielfältigen Wirkungs- und Bedingungszusammenhänge von Geschlecht und Politik in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und in ihren historischen Dimensionen zu identifizieren, überwiegt heute eine Forschungsperspektive, welche die Organisation von Geschlechterverhältnissen als einen politischen Prozess und deren Festschreibung als grundlegendes Machtverhältnis reflektiert. Basis hierfür ist ein gesellschaftstheoretischer Begriff des Politischen, der die geschlechtlichen Machtverhältnisse des Sozialen mit staatlichem und politischem Handeln verbindet und zu Erkenntnissen beiträgt, inwieweit politisches Handeln und Maßnahmen geschlechtliche Ausbeutungs-, Gewalt- und Diskriminierungsverhältnisse ermöglichen und welche Rolle diese für die Legitimität und Stabilität politischer Systeme und Ordnungen einnehmen.
Mit der gesellschaftstheoretischen Verankerung politischer Fragestellungen und ihren wissenschaftlichen Forschungsansätzen analysiert die feministische Politikwissenschaft zentrale Fragen zur Bedeutung gesellschaftlicher Macht- und Ungleichheitsverhältnisse für die Herausbildung und Konstituierung politischer Ordnungen. Nachfolgend werden feministische Ansätze und methodische Umsetzungen innerhalb einzelner Teilgebiete der Politikwissenschaft (Harders 2012: 152-154 fortführend) stichwortartig vorgestellt. Die hier sichtbar werdende Divergenz von theoretischen Perspektiven und die Vielzahl methodologischer Zugänge zeigen eindrücklich, dass von der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung als ein gemeinsames theoretisches oder wissenschaftliches Paradigma nicht mehr ausgegangen werden kann (Rosenberger und Sauer 2004, S. 9). Vielmehr zeigt sich, dass die feministische Politikwissenschaft auf vielfältige Art und Weise in Diskurse der Main- und Malestream-Politikwissenschaft eingreift (vgl. Braun/Fuchs/Lemke/Töns 2000: VII).
Die Lerninhalte geben einen Eindruck über die Breite und Divergenz der Themen, Fragestellungen und Forschungsansätze feministischer Politikwissenschaft. Gemeinsames Anliegen ist die Kritik an den – zumeist androzentrischen – Grundlagen, Prämissen und Konzepten der politikwissenschaftlichen Disziplin (vgl. Rosenberg/Sauer 2004: 9).
Die zuvor dargelegten Inhalte, Fragestellungen und Forschungsansätze feministischer Politikwissenschaft spiegeln das Potential einer systematischen Integration und Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht in jede der o. g. politikwissenschaftlichen Teilgebiete wieder. Dennoch ist bis heute eine eher zögerliche Etablierung feministische Perspektiven in die politikwissenschaftliche Hochschullehre festzustellen. Wird zwischen „einer expliziten Verankerung von Gender-Aspekten bzw. eigenständigen Gender-Modulen“ und einer „Querschnittsverankerung von Gender-Bezügen“ (Jung et al. 2010) unterschieden, zeigt sich für Deutschland ein heterogenes Bild: Zwar finden sich Gender-Bezüge vermehrt als Teilinhalte in den einzelnen Modulbeschreibungen/-inhalten, jedoch lediglich vereinzelt in den Studiengangsbeschreibungen im politikwissenschaftlichen B.A. und M.A. in Deutschland (vgl. ebd.). Eine Verankerung feministischer Politikwissenschaft durch eigenständige Gender-Module ist eher eine Ausnahme und im B.A. und M.A. Politikwissenschaft, wie bspw. an der Philipps-Universität Marburg umgesetzt (Basis- und Aufbaumodul im B.A.: Politik und Geschlechterverhältnisse I und II; Wahlpflichtmodul im M.A.: Gender-Forschung). Darüber hinaus ist im deutschsprachigen Raum zusätzlich zu einem regulärem (politikwissenschaftlichen) Fachstudium der Erwerb eines (allgemeinen) Gender-Studies-Zertifikates im Sinne einer Zusatzqualifikation möglich. Hier lassen sich Inhalte feministischer Politikwissenschaft integrieren. Einen Überblick und Informationen zu politikwissenschaftlichen oder -anteiligen modularisierten Studiengängen (B.A. und M.A.) in Hinblick auf die Verankerung von Gender-Aspekten bündelt die (elektronische) Studienführerin Gender in der Politikwissenschaft (Jung et al. 2010; s.u.).
Im B.A.-Studium können feministisch-politikwissenschaftliche Theorieentwicklung und Forschung in die Einführungsveranstaltungen und Überblickvorlesungen integriert werden: Zum Beispiel durch einen thematischen Schwerpunkt „Feministische Theorie“ im Rahmen einer Vorlesung „Einführung in die Politische Theorie“, als Themenbereich: Feministische Ansätze zur Zivilgesellschaft im Rahmen einer Veranstaltung zu „Aktuellen Theorien zur Bürger- und Zivilgesellschaft in der Politikwissenschaft“ oder zu „Privatheit und Öffentlichkeit als hegemoniale Diskurse der Ver- und Entgeschlechtlichung“ im Rahmen von Einführungsveranstaltungen zu zeitgenössischen und aktuellen Demokratietheorien. Alternativ können ausgewiesene Seminare politikwissenschaftlicher Geschlechterforschung angeboten werden, exemplarisch: Einführung in die feministische IB, Einführung in die feministische Demokratietheorie, Feministische Wissenschaftskritik und qualitative Methoden oder Einführung in die feministische Ökonomiekritik. Diese sind entlang der o. g. Teilbereiche ausdifferenzierbar. Ebenfalls lassen sich - unter Einbezug weiterer Forschenden – (Ring-)Vorlesungen konzeptionalisieren, die über die Integration von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen in der wissenschaftlichen Analyse entsprechender Nachbardisziplinen informieren.
Im M.A.-Studium können einzelne feministisch-politikwissenschaftliche Theoriekonzepte sowie Methodologiereflexionen und methodische Ansätze vertieft und umgesetzt werden. Dies kann einerseits innerhalb der o. g. Teilbereiche, aber auch dezidiert anhand von Seminaren der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung stattfinden. Mögliche Schwerpunktthemen sind etwa Gouvernementalität und Geschlecht, Postkoloniale Theorien oder Theorie und Politik europäischer Geschlechterforschung.
Empfohlen wird eine systematische Integration und Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht (und Vermittlung einer politikwissenschaftlichen Genderkompetenz) in jedes der o. g. politikwissenschaftlichen Teilgebiete.
Einführende Inhalte feministischer Politikwissenschaft können im 1.-3. Bachelorsemester, vertiefende Inhalte können im 4.-6-Bachelorsemester sowie im Masterstudiengang Bestandteil sein.
Braun, Kathrin, Gesine Fuchs, Christiane Lemke und Katrin Töns. 2000. Feministische Perspektiven der Politikwissenschaft. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.
Kurz-Scherf, Ingrid. 2006. Lernziel Genderkompetenz. In: Kurz-Scherf, Ingrid, Imke Dzewas, Anja Lieb und Marie Reusch, Hrsg. 2006. Reader Feministische Politik & Wissenschaft. Positionen, Perspektiven, Anregungen aus Geschichte und Gegenwart. Königstein/Ts.: Ulrike Helmer Verlag. S. 243-247.
Harders, Cilja. 2012. Politikwissenschaft, Politologie. In: Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung (Hrsg.): Geschlechtergerechte Akkreditierung und Qualitätssicherung – eine Handreichung. Essen. S. 152-154.
Rosenberger, Sieglinde und Birgit Sauer, Hrsg. 2004. Politikwissenschaft und Geschlecht. Konzepte – Verknüpfungen – Perspektiven. Wien: Facultas.
Jung, Tina, Lukas Bürger, Katja Chmilewski, Julia Garscha, Laura Hanemann und Melanie Kryst, 2010. Studienführer Gender in der Politikwissenschaft; Marburg. Online.ULR: http://www.uni-marburg.de/genderzukunft/studium/studienfuehrer-gender/studienfuehrergenderpowi [Zugriff 09.05.2018]