Fach:
Religionspädagogik
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften
Die Studierenden sollen zunächst eine Einführung in Gendertheorien erhalten. Von diesem Basiswissen ausgehend sollen sie relevante Genderthemen und -fragestellungen im Kontext religiöser Bildung in unterschiedlichen Handlungsfeldern (wie Kindergarten, Schule, Gemeinde, Erwachsenenbildung, etc.) identifizieren können. Sie sollen Gender als reflexive Kategorie kennenlernen, die ein Bewusstsein für die Relevanz und die Auswirkungen von verschiedenen Geschlechterkonzeptionen für das (schulische wie außerschulische) religiöse Lehren und Lernen schafft. Dafür ist es wichtig, dass sich die Studierenden Kenntnisse zu aktuellen (empirischen) Forschungsergebnissen zu Gender in religiösen Lehr- und Lernprozessen aneignen und eine Sensibilität für implizite geschlechterstereotype Zuschreibungen entwickeln. Um Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihren Lebensrealitäten umfassend ernst nehmen zu können, benötigen die Studierenden Kenntnisse zur Vielfältigkeit der Geschlechter sowie zu theologischen Deutungsangeboten.
Gender ist zudem als zentrales Kriterium in der religiös-spirituellen Sozialisation und Identitätsbildung zu identifizieren.
Die Studierenden sollen bei der Ausbildung eines professionellen Habitus mit Konzepten und Strategien einer genderbewussten/geschlechtergerechten Religionspädagogik vertraut gemacht werden. Dabei ist die Kategorie Gender auch in ihren intersektionalen Verschränkungen mit anderen Diversitätsbereichen kennen zu lernen. Denkweisen, Handlungsmuster und Machtverhältnisse, die in den unterschiedlichen Professionsfeldern anzutreffen sind, sollen fallbasiert analysiert werden. Die Studierenden werden befähigt, didaktische Materialien kriteriengeleitet auf androzentrische Verengungen und geschlechtertypisierende Zuschreibungen hin untersuchen und Alternativen entwickeln zu können. Ebenso sollen sie geschlechterspezifische Machtdynamiken erkennen und geschlechtergerecht orientierte didaktische Entscheidungen und pädagogische Interventionen setzen können.
Religiöse Lehr-Lern-Prozesse – von elementarpädagogischen Settings, über Schule bis in die Gemeindearbeit und Erwachsenenbildung hinein – benötigen nicht zuletzt aufgrund der pluralen Entwicklung unserer Gesellschaften eine vermehrte Aufmerksamkeit für unterschiedliche Differenzkategorien, von denen Geschlecht neben ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, sozialer Zugehörigkeit, Alter und sexueller Orientierung eine Leitkategorie darstellt. Geschlecht ist insbesondere in religiösen Bildungskontexten intersektional zu behandeln, da sich hier mehrere Differenzkategorien (Religion, Geschlecht, Autorität) miteinander verweben.
Zu beachten sind dabei ebenso die historischen Linien, die sich zwischen Religion, Geschlecht und Bildung ziehen lassen. War im antiken Ideal der Gebildete der erwachsene freie Mann – dem gegenüber aber bereits die Kirchenväter betonten, dass alle Menschen vor Gott gleich sind und von daher niemand der Zugang zu Bildung verwehrt werden kann – galt Schulbildung im Mittelalter als Ideal für Geistliche und teilweise für adelige Frauen. Klöstern kam bei der Bildung eine zentrale Funktion zu, auch bei der Bildung von Frauen, wenngleich die Bildungsbemühungen geschlechtsspezifische Unterschiede aufwiesen. Die Bildungsvorstellungen sind bis zur Aufklärung immer parallel zu Religion und in Bezogenheit auf Gott anzutreffen. Mit der Aufklärung tritt das autonome, sich von Herrschaft befreiende Individuum in den Mittelpunkt der Bildungsidee, das realiter den männlichen Bürger im Fokus hatte und sich in der Ausgestaltung der Gymnasien bis in unsere Zeit verfolgen lässt.
Im Zuge der ersten Frauenbewegung wurde neben gleichen Rechten (wie beispielsweise dem Wahlrecht) auch der Zugang zu Bildung erkämpft, wenngleich es sich hierbei zunächst um eine Frauenbildung handelte, die komplementär gedacht wurde. Leitender Bezugspunkt blieb die männliche Lebenswelt. Eine klare Trennung der Lebenssphären in öffentlich und privat entlang geschlechtsspezifischer Zuordnungen wurde kirchlicherseits mit den damit verbundenen Frauen-, Männer-, Ehe- und Familienbildern gestützt. Religiöse Bildung wurde von daher stark bei Frauen, wie Müttern und Großmüttern verortet. Religiöse Erwachsenenbildung hat die Wirkmächtigkeit dieser Bilder und die daraus resultierenden geschlechterspezifischen Orientierungen und Aufgaben aufzugreifen und zu reflektieren, wie geschlechtergerechtes Zusammenleben in den unterschiedlichen Lebensbereichen biblisch und theologisch begründet aussehen kann.
Die Einführung der Koedukation eröffnete im höheren Schulbereich die Chance auf einen gleichen Zugang zu Bildung für alle. Sozial selektive wie geschlechtsspezifische Mechanismen wirken aber bis heute nach. Aktuell wird ein gerechter und gleicher Zugang zu Bildung weniger durch direkten Ausschluss von Mädchen gefährdet. Stattdessen sind die unterschiedlichen fachspezifischen Fähigkeitsselbstkonzepte, die den Zugang zu bestimmten Fächern vorstrukturieren und mitbestimmen, ob sich jemand als begabt oder erfolgreich erleben kann relevant. Ebenso tragen auch bildungspolitische Bemühungen und Ziele, die Anleihe an Wachstum und Wettbewerb nehmen und damit traditionell männlichen Lebenskonzepten entstammen, zu ungleichen Bildungsbiografien bei. Besondere Aufmerksamkeit ist auch der aktuellen Diskussion zu Jungen als Bildungsverlierer (insbesondere der migrantischen Jungen) zu widmen, die nach einer differenzierten, intersektional orientierten Auseinandersetzung verlangt.
Religionspädagogische Theoriebildung sowie religionspädagogische Praxis, die geschlechtergerechte religiöse Bildungsprozesse initiieren und begleiten möchte, hat diesen historisch und gesellschaftspolitisch wirkmächtigen Kontext zu beachten. Näherhin sind folgende Themenbereiche zu beleuchten:
Im Hinblick auf die Umsetzung von Inklusion kann die Religionspädagogik einen wesentlichen Beitrag für einen breiten Inklusionsdiskurs leisten, wenn sie Religion und Geschlecht neben der Aufmerksamkeit für die vielfältigen Formen von Beeinträchtigungen und Behinderungen sowie spezifische Begabungen und Talente stark macht.
In theoretischer Hinsicht ist ein interdisziplinäres Vorgehen, wie es die Religionspädagogik als Fach generell kennzeichnet, erforderlich. Insbesondere Gendertheorien, wie sie in Philosophie, Soziologie und Bildungswissenschaften entwickelt wurden, sind neben jenen aus der Theologie in religionspädagogische Konzeptionen zu integrieren. Sowohl empirische als auch hermeneutische Zugänge sind dafür notwendig. Die Rezeption des (religions)pädagogischen Inklusionsdiskurses ist ebenfalls zu beachten.
Methodisch gilt es vor dem Hintergrund der theoretischen Auseinandersetzung darauf hinzuwirken, dass zukünftige Praktiker*innen einen professionellen Habitus im Umgang mit den unterschiedlichen Geschlechtern, Zuschreibungs- und Interaktionspraktiken sowie dem bildungs- und kirchen/religionshistorischen Erbe entwickeln können. Dazu werden neben der reflexiven Auseinandersetzung mit Theorien und Fakten auf kognitiver Ebene ebenso biografische Prägungen, subjektive Theorien sowie Wirkweisen von Aussagen und Handlungen in pädagogischer Absicht zu untersuchen sein. Studierende können durch aktive Involvierung in Analyse- und Aneignungsprozesse lernen, wie sie spätere Lern- und Bildungsprozesse anleiten können, welche Gefahrenfelder zu identifizieren sind und worauf besondere Aufmerksamkeit zu lenken ist.
Eine Verankerung der fachspezifischen Geschlechterforschung ist am nachhaltigsten sowohl als Querschnittsthema in den einzelnen religionspädagogischen Lehrveranstaltungen und in den anderen theologischen Disziplinen als auch in Form von Gender-Modulen zu gewährleisten, sodass eine systematische wie themenspezifische Auseinandersetzung mit gendertheoretischen Positionen erfolgen kann. Auf eine explizite Verankerung in Form von konkreten Lehrveranstaltungen oder ganzen Modulen ist zu achten, damit eine strukturelle Absicherung garantiert werden kann. Es sollten bei den Lehrveranstaltungsformen (auch) Seminare und Übungen vorgesehen werden, sodass eine Auseinandersetzung mit Blick auf konkrete Praxisfelder in zweierlei Hinsicht erfolgen kann: dass gesellschaftliche und kirchliche Praxis als Ort erkannt wird, an dem genderorientierte Forschungsfragen generiert werden können und an dem sich gendertheoretische Überlegungen, didaktische Planungen und Entscheidungen als zielführend für ein geschlechtergerechtes Zusammenleben erweisen muss.
Bereits im BA-Studium sollen Studierende gendertheoretische Grundkenntnisse erwerben, die mit konkreten Übungen, wie Textanalysen, Situations- oder Fallanalysen angeeignet werden. Sie sollen lernen, religiöse Lern- und Bildungsprozesse unter einer Genderperspektive hinsichtlich ihrer Inhalte, Interaktionen, Interventionen und didaktischen Entscheidungen zu analysieren. Insbesondere für den Lehrberuf ist es notwendig, nicht nur fachspezifisches genderorientiertes Wissen zu erwerben, sondern auch die Kompetenz, die subtilen Machtmechanismen, die sich in Sprache, Konzepte, Inhalte und Verhaltensweisen einschleichen, aufdecken zu können.
Die folgenden speziellen Inhalte können (evtl. in Abstimmung mit Schwerpunktsetzungen an der jeweiligen Hochschule) auch zu Modulen geformt werden:
Im Masterstudium sollen Studierende in frei wählbaren Lehrveranstaltungen zu speziellen Fragestellungen vertiefend arbeiten können. Insbesondere fachdidaktische Lehrveranstaltungen mit Genderschwerpunkt sind anzubieten.