Fach:
Soziale Arbeit, Sozialpädagogik
Fächergruppe/n: Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
Wissen: Die Studierenden kennen soziale Konstruktionsprozesse von Geschlecht und damit verbundene geschlechtsbezogene Zuschreibungen und Erwartungen, die sich auf individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Ebene reproduzieren. Sie wissen von intersektionalen Institutionalisierungsprozessen geschlechtsbezogener Ungleichstellung (in Verknüpfung mit kultureller Zugehörigkeit, sozialer Herkunft, Alter, Behinderung und sexueller Orientierung). Die Studierenden verstehen die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse für verschiedene Handlungsfelder der Sozialen Arbeit.
Fähigkeiten: Die Studierenden sind fähig, geschlechterreflexive, dekonstruktive Strategien und Konzepte zur Enthierarchisierung und Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse (und mit diesen verknüpften sozialen Ungleichheitsverhältnissen) zu entwickeln, anzuwenden, sie in Beziehung zu anderen sozialen Ungleichheitsstrategien zu setzen und dieses Vorgehen zu evaluieren.
Kompetenzen: Die Studierenden erwerben persönliche und fachliche Gender- bzw. Diversity- sowie rassismuskritische Kompetenzen im Umgang mit Verschiedenheit (in Bezug auf Organisationen und Handlungsfelder), können berufliche Handlungen und Haltungen (gegenüber Adressat_innen, im Team und in Leitungsfunktionen) geschlechter- und kulturkritisch reflektieren und entsprechende Lernprozesse initiieren und wissenschaftlich begleiten.
Die Geschichte der Sozialen Arbeit ist immer eine Geschlechtergeschichte gewesen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts stehen Fragen der Geschlechterbeziehungen und Geschlechterverhältnisse zur Debatte: sie spiegeln die historische Entwicklung und Relativität von Geschlechterkonstrukten und nehmen zugleich Einfluss auf die sich herausbildenden Sozialberufe. Bis heute ist Geschlecht für die Soziale Arbeit eine prägende Kategorie:
Hinzu kommt, dass Fürsorge (care) in unserer Gesellschaft weiblich konnotiert ist. Soziale Arbeit wird als ein typischer Frauenberuf wahrgenommen. Das bedeutet, dass die Soziale Arbeit die in den Handlungsfeldern und in den sozialen Problemen sichtbar werdende Geschlechterordnung nicht nur vorfindet, sondern im Sinne von ‚doing gender‘ immer selbst Teil davon ist. Sie reagiert auch nicht nur auf soziale Probleme, sondern schafft sie selbst durch ihre eigene Art der Wahrnehmung, ihre Benennungen und Programmierungen.
In der Geschlechterforschung liegt eine große Bandbreite an Analysen zu Geschlechterverhältnissen und an geschlechterreflexiven Strategien und Konzepten für Handlungsfelder der Sozialen Arbeit vor. Die Geschlechterforscher_innen kommen aus der Sozialarbeitswissenschaft und der Sozialpädagogik/der Erziehungswissenschaft, aber auch aus der Soziologie, der Psychologie, der Politikwissenschaft, der Medizin, der Rechts- und Wirtschaftswissenschaft. Wie die Soziale Arbeit selbst zeichnen sich ihre Beiträge durch Anwendungsorientierung und Inter- bzw. Transdisziplinarität aus.
Die Beiträge der Geschlechterforschung zur Sozialen Arbeit beziehen sich insbesondere auf folgende Bereiche – die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
Geschlechterfragen sind in der Sozialen Arbeit auf komplizierte Weise in den Machtverhältnissen und Deutungen sozialer Wirklichkeit sozial verortet. Sie können immer nur situations- und kontextbezogen und in jeweils spezifischer Verknüpfung mit weiteren Fragen sozialer Ungleichheit angemessen analysiert und beschrieben werden.
Forschungsfelder sind beispielsweise:
Soziale Arbeit umfasst gesellschaftlich organisierte Aufgaben der Fürsorge und Pflege, der Bekämpfung sozialer Probleme und der Unterstützung Betroffener zur Selbstorganisation. Entsprechend umfangreich sind die Handlungsfelder und die Zielgruppen der Sozialen Arbeit, auf die sich empirische Studien, theoretische Analysen und geschlechterreflexive Hilfe- und Bildungskonzepte beziehen.
Exemplarisch werden einige Forschungsfelder aufgeführt:
Soziale Arbeit ist heute nicht mehr ungebrochen Symbol für die Vergeschlechtlichung von Arbeit, vielmehr wirken geschlechterdifferenzierte Zuschreibungen – von z. B. ehrenamtlicher und klientennaher Arbeit an Frauen und Vollzeittätigkeit in Leitungsfunktion an Männer – in diesem modernen, rationalisierten und ökonomisch organisierten sozialen Dienstleistungsberuf eher dysfunktional. Die Professionalisierung der Sozialen Arbeit ist auch mit veränderten symbolischen Geschlechterarrangements einhergegangen und hat dieses Berufsfeld für qualifizierte Frauen wie Männer attraktiver gemacht. Doch haben empirische Forschungen zum Zusammenhang von Organisation und Geschlecht Ungleichzeitigkeiten festgestellt, die auch für die Soziale Arbeit als einem nach wie vor frauendominierten Arbeitsbereich gelten können. Danach verlieren Geschlechterdifferenzen einerseits an Relevanz und werden andererseits kontextabhängig und situationsbezogen, häufig subtil vermittelt und dadurch aktualisiert. Fragen nach der sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern im Feld Sozialer Arbeit sind also weiterhin virulent.
In der Vergangenheit waren auf Geschlecht bezogene Theorieentwürfe in der Sozialarbeitswissenschaft selten. Aktuelle Publikationen verdeutlichen nun die zunehmende Sensibilisierung für die soziale Ungleichheitskategorie Geschlecht in der sozialarbeiterischen Theoriebildung. Eingang in die Theoriebildung finden vor allem Überlegungen zu sozialen Konstruktionsprozessen von Geschlecht und zur Intersektionalität, vereinzelt auch zu körperbezogenen, queeren und postkolonialen Konzeptionen.
Schließlich ist für die Qualitätssicherung in der Sozialen Arbeit die Kompetenz entscheidend, berufliche Haltungen und Handlungen auf geschlechtsbewusste Weise reflektieren zu können. Dies setzt die thematische Verankerung von Gender (im Sinne von sozialem Geschlecht) in den allgemeinen Diskursen der Sozialen Arbeit (in Lehre und Forschung, Aus- und Weiterbildung) voraus, d. h. es braucht eine Professionalisierungs- und Qualitätsdebatte, die geschlechtsbewusste Reflexion zum Essential professioneller Sozialer Arbeit macht. Dafür hat die Frauen- und Geschlechterforschung gute Vorarbeit geleistet.
Geschlechter-Aspekte in der Sozialen Arbeit sind (wie andere Diversity Aspekte) Querschnittsthemen, d. h.: Geschlechterfragen sollten idealiter in allen Modulen ("Soziale Arbeit als Profession", "Soziale Arbeit als Wissenschaft", "Konzepte und Methoden", "Soziale und rechtliche Rahmenbedingungen", "Handlungsfelder und Projekte", "Sozialmanagement", "Supervision und Trainings", "BA- und MA-Thesis") integriert sein. Dies verlangt jedoch die Qualifizierung der Lehrenden: entsprechende Anstrengungen seitens der Hochschule sind nachzuweisen und zu evaluieren.
Darüber hinaus ist ein Gender- und/oder Diversity-Modul im Bachelor- und/oder Masterstudium (mit je spezifischen Anforderungen an Wissen und Können) möglich.
Modulelemente könnten sein:
Im Bachelor-Studium sollten Geschlechter-Aspekte in allen Modulen im Verlauf des gesamten Studiums integriert sein. Wird darüber hinaus ein Gender- oder Diversity-Modul angeboten, so kann es in jedem Semester platziert sein. Während der Praxisphase besteht für die Studierenden die Möglichkeit, das erworbene Wissen zu Gender- und Diversity-Kompetenzen handlungsfeldbezogen anzuwenden und dessen Effekte auf Zielgruppen und Teamkonstellationen geschlechter- und rassismuskritisch zu reflektieren.
Im Master-Studium sollten diese Lehrinhalte vertieft werden können, z. B. in Form von Studienprojekten oder der Entwicklung eigener Forschungsfragen im Rahmen von Seminararbeiten oder der Masterarbeit.