Fach:
Theologie, katholisch
Fächergruppe/n: Geisteswissenschaften
Innerhalb des theologischen Studiums sollen die Studierenden lernen zu analysieren, dass und wie sich die Kategorie Geschlecht in die religiöse Wirklichkeit von Menschen, in die wissenschaftliche Reflexion des Glaubens in der Theologie und in kirchliche Strukturen eingeschrieben hat und einschreibt. Ziel ist es, die Studierenden für die Relevanz der Geschlechterfrage in sämtlichen theologischen Fächern und Themen zu sensibilisieren. Sie sollen befähigt werden, sich die Bedeutung der Kategorie Geschlecht (auch im Zusammenhang mit anderen sozialen Differenzierungen) für biblische, historische, systematische und praktische Fragen der Theologie zu erschließen. Die Studierenden sollen die zentralen Inhalte und Konzepte der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung in diesen Bereichen kennen, lernen miteinander in Verbindung zu bringen und Geschlecht als Analysekategorie anwenden können. Damit die unterschiedlichen Ansätze theologischer Frauen- und Geschlechterforschung, die es inzwischen gibt, adäquat behandelt und verortet werden können, ist es zudem notwendig, dass die Studierenden in die allgemeinen Grundlagen der feministischen Theorie und der Genderforschung eingeführt werden. Durch die Beschäftigung mit der Gender-Problematik lernen die Studierenden Themen und Perspektiven kennen, die die Inhalte und hermeneutischen Perspektiven der Theologie erweitern, bereichern und damit z. T. auch vorherrschende methodische Paradigmen infrage stellen. Sie werden urteilsfähig im kontrovers geführten Diskurs zu Genderfragen, und sie werden – auch durch die wissenschaftliche Reflexion der eigenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen – sensibilisiert für die Arbeit mit Menschen in späteren Berufsfeldern wie der Schule, der Gemeinde oder dem Medienbereich.
Die theologische Frauen- und Geschlechterforschung stellt eine Querschnittsdisziplin der Theologie dar. Sie artikuliert in den verschiedenen Fächern der klassisch theologischen Bereiche – biblische, historische, systematische und praktische Theologie – die Geschlechterfrage mit dem Ziel, eine geschlechtersensible und geschlechtergerechte Theologie zu entfalten. Schon die unterschiedlichen Inhalte und Methoden der theologischen Fächer bedingen ein breites Spektrum an unterschiedlichen Inhalten und Methoden theologischer Frauen- und Geschlechterforschung, die durch spezifische Konzepte ergänzt werden. Darüber hinaus kennzeichnet die theologische Frauen- und Geschlechterforschung – bereits aufgrund ihrer Geschichte, aber auch aufgrund analoger bzw. ähnlicher Problemstellungen in den verschiedenen christlichen Konfessionen und in den Weltreligionen – eine ökumenische Offenheit und das Interesse an interreligiösen Fragen. Eine weitere Auffächerung ergibt sich durch die verschiedenen Ansätze feministischer bzw. genderbezogener Theorien mit ihren jeweiligen wissenschaftstheoretischen Prämissen und den daraus folgenden Interessen, die der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung zugrunde liegen.
In den 1970er Jahren haben sich verschiedene feministische Theorien entwickelt: Zu nennen ist der sogenannte Differenzfeminismus, der nicht zwischen dem biologischen und sozialen Geschlecht differenziert, sich auf die Frau bzw. die Frauen konzentriert und die Aufwertung der Weiblichkeit und die Freiheit der Frau in den Mittelpunkt gestellt hat. Demgegenüber hat der sogenannte Gleichheitsfeminismus die Relationalität der Geschlechterverhältnisse in den Blick genommen, konstatiert, dass die Unterschiede der Geschlechter soziale und kulturelle Ursachen haben und die Gleichberechtigung von Frauen gefordert. Seit den 1980er Jahren entwickelt sich eine kritische Männerforschung, die zunehmend rezipiert wird.
Seit den 1990er Jahren gewinnt die Kategorie Gender in der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung an Gewicht und setzt sich – in verschiedenen Varianten – als breit akzeptiertes Analyseinstrument durch. Als eine Variante sind dekonstruktivistische Ansätze zu nennen, die davon ausgehen, dass Menschen sich in Diskursen bewegen, die sie für (non-)konformes Verhalten sanktionieren und deren Konstrukte sie wiederum reproduzieren. Geschlecht – und dabei vor allem eine strikte binäre Geschlechterordnung – wird in diesem Zusammenhang auch als ein Konstrukt der Diskurse wahrgenommen, dessen Wirkmechanismen und Kontingenzen auf mögliche Veränderung hin aufgedeckt werden sollen. So werden auch Formen der Queer-Theorie in der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung aufgegriffen. Dazu haben im 21. Jahrhundert die Perspektiven der Intersektionalität (von Geschlecht, Ethnie, Klasse, geschlechtlichen Präferenzen, Religionszugehörigkeit und anderen Konstituenten) und des Postkolonialismus neue Differenzierungen oder Sensibilisierungen angestoßen, die in besonderer Weise das Bewusstsein für die Kontextualität aller Forschung und damit auch jedes Ansatzes theologischer Frauen- und Geschlechterforschung schärfen. Die genannten Theorien und Perspektiven werden – inhaltlich und methodisch bedingt – durch die theologische Frauen- und Geschlechterforschung in unterschiedlicher Weise adaptiert und in den theologischen Fächern zum Tragen gebracht. Im Folgenden seien die wichtigsten Fragestellungen theologischer Frauen- und Geschlechterforschung in den vier klassischen Bereichen der Theologie benannt.
Aufgabe und Ziel der biblischen Fächer innerhalb der Theologie ist es, zu einem wissenschaftlich ausgewiesenen Umgang mit der Bibel als historischer Quelle, als literarischem Werk bestimmter antiker Kulturen, als Heiliger Schrift des Christentums (und im Fall des Alten Testaments als dem Judentum und Christentum gemeinsamer Schrift) und als relevant für die je persönliche Glaubensgeschichte zu befähigen. Die Frauen- und Geschlechterforschung im Bereich der Biblischen Theologie bezieht sich auf alle Bereiche, Themen und Methoden dieser Disziplin. In jedem der etablierten Teilfächer (v. a. Einleitungswissenschaft, Zeit- und Religionsgeschichte, Exegese der einzelnen Textgruppen, Theologie des Alten Testaments/Neuen Testaments/der ganzen Bibel, Hermeneutik, auch der Rezeptionsgeschichte als sich neu herausbildender Teildisziplin) kann auf geschlechtsspezifische bzw. auf gendergerechte Perspektiven geachtet werden:
Die historischen Fächer innerhalb der Theologie erschließen die Geschichte christlichen Lebens, Wirkens und Denkens von den neutestamentlichen Anfängen bis in die Gegenwart. Eingeschlossen in diese Erforschung des Christentums ist die Erforschung spezifischer kirchlicher und auch konfessioneller Strukturen. Die historischen Fächer diskutieren das Leben der Christ*innen und den Ort der Kirche/n im Kontext ihrer jeweiligen Gesellschaft, sie fragen nach religiösen Mentalitäten und deren Verkörperung, sowohl in der Gestalt einzelner, herausragender Christ*innen als auch in der Gestalt religiöser Gruppen und alltäglicher Praxis des Christentums. Die historischen Fächer leisten dies unter dem Anspruch, sowohl in Methode als auch in Hermeneutik die gleichen Grundlagen wie die allgemeingeschichtlichen Nachbardisziplinen vorauszusetzen. Gegenwärtige Perspektiven sowie politisch-ethische Fragestellungen gehören dabei in gleicher Weise wie in anderen historischen Disziplinen in reflektierter Form zum Horizont des Faches, weil ohne Reflexion des eigenen Standorts keine verantwortete Geschichtsschreibung geschehen kann. Geschichte ist dabei grundsätzlich geschlechterdifferent, Geschlecht ist eine grundlegende historische Kategorie. Frauen- und geschlechterspezifische Perspektiven lassen sich daher in allen historischen Feldern, Themen und Methoden finden:
Zentraler Inhalt der systematischen Theologie ist es, den Glauben als Denk-, Lebens- und Strukturform der Kirche(n) verantwortet zu begründen. Die Fächer der systematischen Theologie reflektieren die Voraussetzungen des christlichen Glaubens, seine zentralen Inhalte sowie die Konsequenzen für ethisches Handeln der Einzelnen und in Gemeinschaft sowie für die Gestaltung von Institutionen. Die theologische Frauen- und Geschlechterforschung behauptet die Geschlechterproblematik als notwendig mit zu bedenkenden Faktor in all diesen Bereichen. Die Studierenden sollen befähigt werden, die Relevanz der Geschlechterfrage für die theologische Rede von Gott und vom Menschen mit allen in dieser Relation mitgesetzten Themen zu erkennen. Sie sollen lernen zu analysieren, wie sich Geschlechterbilder und Geschlechternormen in Traditionen und theologische Reflexionen eingeschrieben haben und welche Wirkungen daraus resultieren, und sie sollen befähigt werden, geschlechtergerechte Zugänge zum Glauben zu formulieren. Dazu ist es notwendig, Geschlecht auch als analytische Kategorie zu begreifen und anwenden zu lernen. Im Einzelnen erscheinen folgende Fragestellungen und Themen hier als zentral:
Theologie als Ganze ist eine praktische Wissenschaft, da sie sich notwendigerweise auf eine ihr vorausliegende (Glaubens-) Praxis bezieht, auf die sie reflektiert. Der Praktischen Theologie kommt als Theorie der Praxis in besonderer Weise die Aufgabe zu, die Theologie auf die (kritische) Reflexion menschlich gläubiger Praxis in sich wandelnden Kontexten auszurichten. Dazu analysiert sie religiös-gläubige menschliche Praxis auf Grundlage der geschichtlich sich vollziehenden gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozesse und reflektiert sie im Horizont einer religiösen, christlichen Selbst- und Weltdeutung, um das Handeln von Christ*innen, die in ihrem Bekenntnis zum Evangelium die Gemeinde Jesu Christi bilden, daran auszurichten. Insofern erinnert sie die Theologie an ihre Kontextualität, leistet Ideologiekritik und betont den Stellenwert gläubiger Praxis, die als Erkenntnisquelle theologischer Theoriebildung eine eigene theologische Dignität hat. Zu diesen Kontexten gehört auch die Frage nach Gender. Eine gendersensible Praktische Theologie bezieht im interdisziplinären Diskurs Beiträge aus der Soziologie, Philosophie, Psychologie u. v. m. ebenso ein wie die empirisch, phänomenologisch u. a. erhobenen Erkenntnisse aus der Praxis. So sollen Anregungen sowohl für die kritische Reflexion und Begleitung kirchlicher Praxis als auch anderer Felder religiös-gläubiger menschlicher Praxis gewonnen werden. Ausdifferenziert nach den Fächern im Bereich der Praktischen Theologie lassen sich folgende zentrale Inhalte theologischer Frauen- und Geschlechterforschung ausmachen:
Entsprechend den formulierten Lehr- und Studienzielen sollte der Genderaspekt als Querschnittsthema aller theologischen Disziplinen in der Bachelor-Phase zum Tragen kommen. Denkbar ist, dass sich die Lehrenden in den in die Bereiche der Theologie einführenden Modulen im ersten und zweiten Semester selbst darauf verpflichten (bzw. gehalten werden), in mindestens einer Sitzung die Relevanz der Genderproblematik für das jeweilige Thema zu erarbeiten. Alternativ könnte etwa in jedem zweiten Semester (in Abhängigkeit davon, was von den für Genderfragen ausgewiesenen Lehrenden leistbar ist) ein Seminar „Einführung in die theologische Frauen- und Geschlechterforschung“ angeboten werden, wobei jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gelegt werden könnten. In Abhängigkeit zur Leistbarkeit ist auch im weiteren Verlauf der Bachelor-Phase ein theologisches Gender-Modul als Wahlpflichtmodul denkbar. Hier wären die Gender-Expert*nnen auf Kooperationen mit anderen theologischen Fächern angewiesen.
Für die gesamte Bachelor-Phase gilt, dass eine Integration der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung in die Module möglich ist. Bei der Konzeption der einzelnen Module sollte berücksichtigt werden, dass die Geschlechterproblematik quer zu allen theologischen Fragen liegt und eine Erweiterung der Perspektiven, Inhalte und Methoden bedeutet. Unbedingt zu empfehlen ist eine Kooperation theologischer Frauen- und Geschlechterforschung mit der entsprechenden Forschung in anderen wissenschaftlichen Disziplinen in einem interdisziplinären Gender-Modul etwa innerhalb der „General Studies“. In diesem Modul sollten die in allen Disziplinen relevanten Grundlagen gegenwärtiger Geschlechtertheorien vermittelt und mit speziellen Fragestellungen der Disziplinen verknüpft werden. So lernen die Studierenden die Relevanz und die Konsequenz einer gendersensiblen Perspektive für ganz unterschiedliche Themen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Schwerpunkten kennen.
In der Masterphase empfiehlt sich eine Vertiefung einzelner Themen der theologischen Frauen- und Geschlechterforschung innerhalb der Module. Wie auch in der Bachelor-Phase sind Veranstaltungen empfehlenswert, in denen die theologische Frauen- und Geschlechterforschung mit anderen theologischen Fächern kooperiert und ein Schwerpunkt der Veranstaltung auf den Genderaspekt gelegt wird.
Die Grundlagen theologischer Frauen- und Geschlechterforschung, d. h. die Theorien über die Kategorie Geschlecht und die Geschlechterverhältnisse sowie das Wissen um die Relevanz der Geschlechterfrage in allen theologischen Bereichen, sollten in der Bachelor-Phase vermittelt werden. Vertiefungen und Spezialisierungen in ausgewählten thematischen Bereichen sind in der Masterphase sinnvoll.