Auf der Grundlage unserer Analyse ist es möglich, für alle Studiengänge drei zentrale Frage- bzw. Problemstellungen der Geschlechterforschung zu benennen, die als integrale Bestandteile eines Curriculums in jedem Fach zu einem geschlechtergerechten Studium und einer geschlechtersensiblen Berufsqualifizierung beitragen können. Diese Fragestellungen, die aus Sicht der Geschlechterforschung in allen Fächern, jedoch jeweils fachspezifisch, in die Curricula integriert werden sollten, sind
Diese Aspekte sollten bei der Einführung und Akkreditierung gestufter Studiengänge als „Mindeststandards“ der Curricula aller Studienfächer angesehen werden.
Die Erarbeitung und Analyse der Geschichte des angestrebten Berufes, die Nachzeichnung zentraler Entwicklungslinien und Fachtraditionen unter Geschlechtergesichtspunkten, gehören zu einer geschlechtergerechten Ausbildung. Diese beinhaltet historische Fragen, wie die nach der Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufsfeldern und dem „Frauenstudium“, ebenso wie beispielsweise die aktuelle Tendenz zur Akademisierung von Berufen, die bisher als „Frauenberufe“ gelten.
Dabei ist es notwendig, die Profession auf der individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Ebene zu analysieren, um die Vergeschlechtlichung von Arbeit und geschlechterdifferenzierte Zuschreibungen zu verdeutlichen. Eine Sensibilisierung der Studierenden bezüglich der eigenen Geschlechterrolle sowie vorhandener Geschlechterstereotypen soll die Selbstreflexion gegenüber der eigenen späteren beruflichen Tätigkeit stärken und damit auch die Bedeutung des Geschlechts für die Berufspraxis sichtbar machen.
Insbesondere sind professionsbezogene Kommunikations- und Interaktionsprozesse (z.B. zwischen Arzt/Ärztin und Patient/Patientin; zwischen Ingenieur/Ingenieurin und Kunde/Kundin; zwischen Lehrer/Lehrerin und Schüler/Schülerin) sowie geschlechterbezogene Wahrnehmungen zu thematisieren und berufsfeldbezogen zu begleiten. Hierbei gilt es, berufliche Handlungen und Haltungen geschlechter- und kulturkritisch zu reflektieren.
Der zweite zentrale Aspekt zur Integration von Geschlechterforschungsinhalten in gestufte Studiengänge bezieht sich auf das Sichtbarmachen von Geschlecht und auf Frauen und Männer in der Wissenschaft. Die Studierenden sollen befähigt werden, die Konstruktionsprozesse von Geschlecht in ihrer Fachdisziplin zu reflektieren. Ein erweitertes Wissenschaftsverständnis innerhalb der Naturwissenschaften, um die gesellschaftlichen Bedingtheiten wissenschaftlicher Forschung und Erkenntnis zu erfassen ist notwendig. Die Analyse des „Doing Gender“ ist mit der des „Doing Science“ zu verknüpfen um den Zusammenhang von Wissenschaftskultur, Fachkultur und Geschlechterordnung zu hinterfragen.
Aus einer wissenschaftskritischen Haltung heraus sollen Studierende befähigt werden, mögliche Genderbias in der eigenen Fachdisziplin aufzuspüren, indem sie lernen zu hinterfragen, „wer was wann warum und wie“ erforscht und veröffentlicht hat. Hier stehen Androzentrismus, Geschlechterdichotomie oder Geschlechtersensibilität der Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt der Wissensproduktion im Mittelpunkt.
Von zentraler Bedeutung ist es weiter, Werk und Biografie von WissenschaftlerInnen des jeweiligen Faches zu berücksichtigen. Hier gilt es insbesondere, Wissenschaftspionierinnen aufzuspüren und die Biografien und Werke aufzugreifen, um sowohl den Anteil von Frauen an der Wissenschaft und deren Forschungsleistungen bekannt zu machen, als auch die berühmten „blinden Flecken“ sichtbar werden zu lassen. Die Einbindung biografischer Dimensionen und Reflexionen in Lehre und Studium ermöglicht eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Weg als Wissenschaftlerin/Wissenschaftler.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die geschlechtergerechte Sprache. Sprachsensibilität und Sprachreflexion können in Lehre und Studium dadurch gefördert werden, dass bspw. nicht ausschließlich männliche Anreden benutzt werden. Auch bei der Verwendung von Praxisbeispielen, Lehr- und Unterrichtsmaterialien im Rahmen der Lehre ist darauf zu achten, dass Beispiele nicht zur Aufrechterhaltung von Geschlechterstereotypen beitragen, sondern durchaus modernisierte Geschlechterbilder wie auch widerständige, ungewohnte Geschlechterbilder aufgegriffen werden. Hierzu gehört auch die Nennung von Vornamen in Literaturlisten, um den Anteil von weiblichen bzw. männlichen Wissenschaftlern in der jeweiligen Fachkultur sichtbar zu machen.
Auch die fachspezifischen Lehrkulturen sollten überprüft und gleich- und gemischtgeschlechtliche Lern- und Arbeitssituationen berücksichtigt werden. Hier kommt der Hochschuldidaktik unter Geschlechtergesichtspunkten eine hohe Bedeutung zu, um Lehrenden notwendige Gender-Kompetenz zu vermitteln.
Der dritte zentrale, für alle Fächer relevante Geschlechterforschungsansatz, der in Lehre und Studium zu integrieren wäre, bezieht sich auf die geschlechtersensible Sicht auf die Prozesse der Herstellung und Nutzung von Forschungsergebnissen und -produkten. Hier sind die Wissensproduktion und die Auswirkungen auf die Nutzung sowie geschlechtsdifferente Aneignungsprozesse zu thematisieren. Durch die Analyse der Transformation von Ergebnissen aus Wissenschaft und Forschung ist es möglich, NutzerInnenschnittstellen unter Geschlechter-Aspekten auszuwerten und zu gestalten (z.B. in der Informatik, Elektrotechnik, dem Maschinenbau). Dabei gilt es auch, geschlechterbezogene Konnotationen in der Gestaltung von Produkten kritisch zu hinterfragen und Geschlechterstereotypisierungen zu durchbrechen.